WENN DAS SCHWEIN KRANK IST, LEIDET DIE KUNST

Ein Bautzener verkauft übers Internet Ostereier und hat damit das Leben von zwei rumänischen Familien von Grund auf verändert. SÄCHSISCHE ZEITUNG. 27. März 2013

Kaum hat Rüdiger Steinke sich im Café hingesetzt, bricht die Kellnerin schon in helle Begeisterung aus. „Die sind aber schön!“ Gemeint sind die zwanzig Ostereier, die Steinke in einer Kiste vor sich liegen hat. Kunstvoll verzierte Enteneier mit filigranen Ornamenten, viele mit schwarz-roten Batikmustern unterlegt, darüber hauchdünn aufgetragene Linien aus farbigem Wachs. „Dürfen Sie gerne in die Hand nehmen“, sagt der 48-Jährige. Er kennt die Begeisterung, die Menschen überfällt, wenn sie zum ersten Mal ein Ei aus der rumänischen Provinz Bukowina sehen. Steinke selbst ist dem Charme der traditionellen Ostereier vor sieben Jahren erlegen.

Eigentlich beginnt die Geschichte aber noch viel früher. Es war 1984, als es Rüdiger Steinke das erste Mal im Urlaub zufällig nach Rumänien verschlägt. „Ich war erschüttert über die Not, die ich dort vorfand.“ Steinke, der damals aktiv in der evangelischen Jugendarbeit ist, will helfen. Zurück in seiner Heimatstadt Bautzen organisiert er illegale Transporte mit Hilfsgütern. Nach dem Sturz Ceaușescus 1989, als die katastrophalen Bedingungen in den rumänischen Waisenhäusern bekannt werden, baut Steinke binnen weniger Monate einen Verein auf, der junge Deutsche zu einem freiwilligen sozialen Jahr in das zweitgrößte rumänische Kinderheim entsendet. Bis 2009 lief das Projekt, über siebzig Jugendliche haben daran teilgenommen. Steinke selbst ist seitdem mehrmals im Jahr vorort in Rumänien.

Auf einer dieser Reisen fällt ihm in einem Souvenirshop in Sibiu ein wunderschönes Osterei in die Hände. „Da hatte ich spontan die Idee, diese Eier in Deutschland zu verkaufen.“ Er macht sich auf die Suche nach dem Herkunftsort, fährt dazu an den nördlichen Rand Rumäniens, läuft buchstäblich mit einem Ei in der Hand durch die Dörfer der Bukowina und fragt nach Familien, die dieses Kunsthandwerk beherrschen. Denn nur in dieser Region, die nordöstlich der Karpaten liegt, wird die komplizierte Technik seit Jahrhunderten von Generation zu Generation weitergegeben. Als Werkzeuge dienen einfachste Geräte. Eine Konservenbüchse mit geschmolzenem Wachs, ein kleiner Holzstab mit einem feinen Stück Draht am Ende. „Wenn man zusieht, denkt man wirklich, die können zaubern.“

Die kunstvoll gestalteten Eier sind Teil des orthodoxen Osterfestes, erklärt Steinke weiter. „Sie werden am Ostersonntag zusammen mit Brot und anderen Lebensmitteln in einen Korb gelegt und zur Zeremonie in die Kirche mitgenommen.“ Von seinem ersten Besuch bringt Steinke 500 Eier mit nach Hause. Er will ausprobieren, ob es in Deutschland dafür einen Markt gibt – trotz der hierzulande viel bekannteren sorbischen Konkurrenz.
Anfangs steht Steinke, der hauptberuflich Geschäftsführer der Sächsischen Jugendstiftung in Dresden ist, mit den Eiern vor allem am Wochenende auf Märkten. Vor vier Jahren dann wagt er den Sprung ins Internet. Seitdem haben die Eier aus der Bukowina einen eigenen Online-Shop (www.kaei-ro.de). Und Steinke schaltet, damit potentielle Käufer ihn überhaupt finden, Anzeigen bei Google. Rund eine Million Mal, so ein Sprecher von Google, wird das Wort „Ostereier“ jedes Jahr in Deutschland in die Suchmaschine eingegeben, die meisten Anfragen finden natürlich in der Zeit vor Ostern statt. Mittlerweile verkauft Steinke rund 5.000 Eier pro Jahr, zwei Drittel davon gehen online weg, der Rest wird auf analogen Wegen verkauft.

Doch der Prozess der Professionalisierung, den Steinkes kleines Gewerbe in den letzten Jahren durchlaufen hat, lief nicht immer reibungslos. Als besonders schwierig entpuppte es sich, von den rumänischen Familien Eier auf einem gleichbleibend hohen künstlerischen Niveau zu bekommen. Trotz vieler Gespräche und intensivem Briefing waren die Eier mal von besserer, mal von minderer Qualität. „Das hing auch damit zusammen, ob die Familien gerade Zeit hatten und gutes Material.“ Oder ob es wichtiger war, das tägliche Überleben zu sichern. „Wenn das Schwein krank wird, ist das existenzbedrohend. Da bleibt keine Zeit zum Malen.“ Der Alltag auf den Dörfern ist hart, viele können nur als Tagelöhner gelegentlich Geld verdienen.

Dazu kamen kulturelle Verständnisschwierigkeiten. Dass Ostereier in Deutschland an Zweige gehängt werden und deshalb oben mittig ihr Loch haben müssen, davon hatten die Menschen in der Bukowina noch nie gehört. „Die haben mich angelächelt und genickt, aber die Löcher trotzdem einfach irgendwo gemacht“, erzählt Steinke lachend. Es hat drei Jahre gedauert, bis er den Einheimischen begreiflich machen konnte, dass Ostereier mit schiefen Löchern in Deutschland leider unverkäuflich sind.

Mittlerweile arbeitet Steinke mit vier festen Mitarbeiterinnen in Rumänien zusammen, sie stammen aus zwei Familien und malen nun das ganze Jahr über Eier an. Steinke übernimmt ihre komplette Jahresproduktion und zahlt einen fairen Preis – deutlich mehr, als die Frauen von heimischen Souvenirläden bekommen würden. „Für diese Familien hat sich vieles verändert“, sagt Steinke. Sie müssen nun nicht mehr ihre Kinder monatelang alleine lassen, um als Erntehelfer ins Ausland zu gehen. In ihren Dörfern sind sie hoch angesehen, werden um ihre festen Berufe und ihre konstante Einnahmequelle beneidet. „Viele andere wollen daher auch mit mir ins Geschäft kommen“, sagt Steinke. Jedes Mal, wenn er in der Bukowina ist, führen neue Familien ihre Sortimente vor.

Der Eierverkauf sei ein Beispiel für ein gelungenes Social Business, so Steinke. „Und ein gutes Geschäft ist, wenn es allen gut geht.“ Deshalb macht auch er einen kleinen Gewinn mit den Eiern. „Sonst würde ich das nicht machen“, sagt der zweifache Vater. Außerdem bezahlt er von seinem Umsatz die Transportkosten, die Standgebühren auf den Märkten und die Pflege des Onlineshops. Dazu kommen die Kosten für die Internet-Anzeigen, die Steinke neuerdings auch in England, Schweden und den Niederlanden schalten lässt. Dass er weltweit sicher noch deutlich mehr Eier absetzen könnte und damit noch mehr Familien in Rumänien helfen könnte, daran zweifelt er nicht. „Aber für einen Ausbau des Geschäfts fehlt mir schlicht die Zeit.“

Die Kellnerin steht wieder am Tisch, sie will abräumen. „Was kosten die denn?“, fragt sie, den Blick immer noch auf die prunkvollen Eier gerichtet. „8,50 Euro das Stück“, sagt Steinke. Das gehe ja, erwidert die junge Frau, „ist ja schließlich eine Anschaffung fürs Leben.“

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