GEBT ACHT AUFEINANDER

Bei aller Liebe: Familie, das heißt auch tausend Aufgaben, Sorgen, Erledigungen, ständig zu wenig Zeit und zu wenig Schlaf. Wer nicht aufpasst, entfremdet sich als Paar. MOBILE ELTERNMAGAZIN. Januar 2013.

Ein Morgen wie aus keinem Bilderbuch: Kind eins ist schon beim Aufstehen über die Lego-Burg gestolpert, Kind zwei findet zwischen Decken und Kissen seine Schmusepuppe nicht. Ein zweistimmiges Heulkonzert hebt an. Mamas Miene ist so finster wie ihre Augenringe, während sie fluchend nach Pflaster und Puppe sucht. Papa hat sich mit dem Smartphone ins Bad geflüchtet, sein übliches „Muss mich beeilen“ nuschelnd.

Wo ist sie hin, die Zeit, in der jeder Tag mit einem Kuss und einem liebevollen „gut geschlafen“ anfing? Wo ist es geblieben, das Liebespaar, das sich gegenseitig mit Milchkaffee und frischen Croissants den Morgen versüßt hat? Laut Statistischem Bundesamt werden in Deutschland im Jahr rund 380.000 Hochzeiten gefeiert. Ein bis zwei Jahre halten die meisten Paare durch, aber schon ab dem dritten Ehejahr steigt die Trennungsrate rapide an. Unter den 187.000 jährlichen Scheidungen sind zehntausende junger Eltern, die das Handtuch schmeißen. Zermürbt vom Alltag, enttäuscht vom Anderen.

Um den vielbeschworenen Kino-Abend, den man sich öfter mal hätte gönnen sollen, geht es meistens nicht. Die Probleme, an denen sich Männer und Frauen aufreiben, liegen tiefer. „Wir scheitern an den immens hohen Erwartungen, die an uns herangetragen werden und die wir oft auch verinnerlicht haben“, sagt Tomke König, Professorin für Soziologie an der Universität Bielefeld und Autorin des Buchs „Familie heißt Arbeit teilen“ (UVK Verlag, 2012). Die Erwartung, trotz kleiner Kinder ein flexibler, kreativer, allzeit erreichbarer Arbeitnehmer zu sein. Die Erwartung, zu jeder Tages- und Nachtzeit eine geduldige, zugewandte Mutter, ein gutgelaunter, fürsorglicher Vater zu sein. Und dabei optisch auch noch möglichst dem Hollywood-Standard – attraktiv, fit, sexy – zu entsprechen.

Diese  Vorstellungen stecken tief drin in den Köpfen und Körpern, erklärt die Wissenschaftlerin, selbst wenn die einzelnen Betroffenen es gar nicht so formulieren würden. „Was wir dabei meistens übersehen: Diese – sowieso unerreichbaren – Ideale setzen eigentlich voraus, dass die Arbeit geschlechtlich aufgeteilt wird.“ Überspitzt gesagt: Dem beruflich top-engagierten Vati müsste zuhause der Rücken freigehalten, der trällernden, backenden, bastelnden Mutti die aufreibende Erwerbsarbeit vom Hals gehalten werden.

So funktioniert es aber nicht mehr, niemand wünscht sich diese Rollenmodelle zurück. Väter wollen Zeit mit ihren Kindern verbringen, Mütter wollen anspruchsvolle Berufe ausüben. Und auch zuhause soll alles möglichst gleichberechtigt sein, mal kocht er, mal sie, mal kauft Papa ein, mal Mama. Und wer noch eine Hand frei hat, räumt schnell die Spülmaschine aus und schmeißt die Waschmaschine an. In der Realität heißt das für viele Paare: permanentes Verhandeln. Wer ist wann bei den Kindern, wer geht wann arbeiten, wer kümmert sich im Haushalt um was, welche Richtlinien gelten bei Ernährung, Erziehung, Ordnung und so weiter. „Das führt oft zu regelrechten Kämpfen“, sagt Hannspeter Schmidt, Leiter der katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle in Köln. Statt Rotwein und Kerzenschein im Restaurant gibt es zähe Besprechungen am Küchentisch.

Und nicht immer schaffen es die Paare dabei konstruktiv zu bleiben. Schnell mündet jedes Gespräch in ein „Vorwurfskonzert“, aus dem die Familien erst mit professioneller Hilfe wieder herausfinden. Dass die Eltern derart unter Druck stehen, dafür hat Schmidt viel Verständnis. „Oft ist die Zeit der Familiengründung ausgerechnet auch die Zeit, in der man sich beruflich bewähren muss.“ Stress und Erschöpfung sind quasi vorprogrammiert.

„Auf einmal ist überall ist nur noch Arbeit“, sagt auch Wissenschaftlerin König, die in den letzten Jahren viele Paare befragt  hat. „Die Zeit der Regeneration, die eigentlich zuhause stattfinden müsste, fällt einfach weg.“ Sie wäre aber dringend nötig. Um wieder Kraft zu schöpfen, aber auch um als Paar zur früheren Leichtigkeit zurückzufinden. Doch statt dem Alltag mit Kindern einen Rest gemeinsamer Freizeit abzutrotzen, kämpfen viele Mütter und Väter nur um Zeit für sich alleine: Wenigstens einmal die Woche in Ruhe zum Sport gehen, wenigstens ab und zu mal mit den alten Kolleginnen treffen.

Sinaida Rohland kennt die Folgen. Die Diplompädagogin arbeitet als Familienmediatorin in Berlin, zu ihr kommen Paare, die nur noch ihre Trennung abwickeln wollen. Die Geschichten, die die Mediatorin dabei hört, ähneln sich oft. Weil gemeinsame Abende so schwer zu organisieren waren, zog jeder alleine los. „Freizeit wird dann aber nicht mehr mit etwas Positivem assoziiert“, sagt Rohland. „Denn wenn ein Partner Zeit zum Entspannen einfordert, heißt das für den anderen automatisch, dass noch mehr Familienarbeit an ihm hängen bleibt.“ Der Missmut wird größer, die täglichen Debatten um eine gerechte Arbeitsverteilung womöglich noch heftiger. Umso mehr drängen die Paare auseinander. „Sie flüchten regelrecht nach draußen, auch weg von den ewigen Diskussionen.“

Natürlich können diese kleinen Fluchten wohltuend sein, sie können aber auch zur weiteren Entfremdung beitragen. „Im Freundeskreis spricht man dann über den Ärger zuhause“, erklärt die Mediatorin, „und kriegt meistens bestätigendes Feedback.“ Du hast Recht, nicken die Freundinnen, er ist im Unrecht. Du benimmst dich völlig normal, sagen die Kumpels, sie reagiert total irrational. Das tut gut, ist Balsam für die wunde Seele. Auf die Paarbeziehung wirkt es langfristig noch destabilisierender.

Dazu kommt, dass die Väter es oft besser hinkriegen, sich ihre Freiräume zu erhalten. Mütter – egal ob berufstätig oder nicht – übernehmen im Schnitt deutlich mehr Aufgaben im Haushalt und bei der Kinderbetreuung, vierzig Jahre Emanzipationsbewegung haben daran statistisch gesehen kaum rütteln können. „Frauen haben einen anderen Blick auf die Bedürfnisse der Kinder“, erklärt Rohland, „sie sind näher dran – oder glauben es zumindest zu sein.“ Entsprechend schwerer fällt ihnen die Abgrenzung, sie fühlen sich immerzu verantwortlich und zuständig. Trotzdem hadern sie oft mit den beruflichen und privaten Opfern, die sie für ihre Familien bringen. „Groll im Herzen“, nennt das Hannspeter Schmidt. Viele Eltern, vor allem Mütter, die zu ihm in die Eheberatung kommen, haben damit zu kämpfen.

„Ratschläge wie ‚Schraub deine Erwartungen runter‘ oder ‚Lass einfach ein bisschen locker‘ helfen da wenig“, sagt Wissenschaftlerin Tomke. Denn die Unzufriedenheit sei ja kein individuelles Problem, sondern die Folge gesellschaftlicher Strukturen. „Deshalb sollte man auch nicht den Fehler machen, die Ursachen der Auseinandersetzungen im Charakter des Partners zu suchen.“ Der Spagat im Alltag ist nicht schwierig, weil er zu faul oder sie zu chaotisch ist. Der Spagat ist schwierig. Punkt.

Die Soziologin rät deshalb zu mehr gegenseitiger Fürsorglichkeit und Achtsamkeit. „Lieber anbieten statt fordern, lieber geben als nehmen.“ Dem Anderen großherzig etwas Gutes tun, ohne immer gleich aufzurechnen. Im Sinne von: Du wolltest dir doch so gerne diese Ausstellung anschauen. Mach mal, ich schenk dir den Samstag. Kleine Gesten, große Wirkungen: „Wer derart beschenkt wird, fühlt sich wertgeschätzt, umsorgt, geliebt.“ Und schenkt bestimmt auch großzügig zurück.

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