„DAS INTERNET GEHÖRT UNS ALLEN“

Tobias Leingruber ist Teil einer internationalen Netzkunst-Guerilla. Ein Gespräch. NEON. März 2012.

Tobias, dein neuestes Projekt heißt »Facebook Resistance«. Das Programm soll es ermöglichen, mit virtuellen Spraydosen oder »Gefällt mir nicht«-Daumen das eigene Facebook-Profil umzugestalten. Wozu der Aufwand?

Facebook baut gerade eine kommerzielle Version des Internets auf, in der Facebook das Sagen hat und die Kohle macht. Dabei gehört das Internet eigentlich uns allen. Es ist ein offenes, sich ständig erneuerndes System, in dem wir tun und lassen können, was wir wollen. Auf Facebook geht das nicht mehr, da müssen wir nach den strengen Facebook-Regeln spielen.

Es zwingt dich doch niemand, dich ausgerechnet bei Facebook zu vernetzen.

Direkt nicht, indirekt schon. Ohne Facebook-Identität verpasst man mittlerweile einiges – Geburtstagseinladungen, Partys, Chats, Fotos. Es gibt ja leider Leute, die machen alles nur noch über Facebook, weil es so einfach ist.

Der Feind ist also nicht Facebook, sondern der faule User?

Der Nutzer wird entmachtet, und das Schlimme ist: Er merkt es nicht einmal. Wenn ich heute neu ins Internet käme, gäbe es für mich eigentlich keinen Grund mehr, etwas anderes als Facebook zu nutzen. Warum sollte ich zu Flickr, Twitter oder ICQ gehen? Warum sollte ich mir noch eine E-Mail-Adresse zulegen? Facebook bietet mir alles. Aber wer einmal drin ist, kann nicht mehr quer denken oder ausbrechen. Man wird mitgezogen und gemolken.

Gemolken?

Wir alle zahlen mit unseren Daten und werden zu Usern degradiert, die keine Rechte haben, innovativ an der Plattform mitzuwirken.

Und das willst du mit deinen Aktionen ändern?

Die Leute sollen merken: Oh, ich kann ja auch auf Facebook ein bisschen freier sein. Ich muss mich nicht in diese Kästchen zwängen lassen.  

Aber du veränderst doch nur die Optik, der Widerstand bleibt also an der Oberfläche.

Klar. Aber die Oberfläche ist die Schnittstelle von Mensch und Maschine. Sie ist das, was der Mensch sieht und womit er interagiert. Wie wir sie aufnehmen, so nehmen wir das System auf. Dass die Leute zum Beispiel bei Facebook auf einmal alle ihre richtigen Namen angegeben haben – das hatte es vorher nicht gegeben. Vorher war ja MySpace das große Ding, da hat niemand seinen echten Namen benutzt.

Warum?

Wegen der Oberfläche! MySpace hat so ein »Yo-let’s-party«-Interface. Facebook hat eine seriöse, fast schon etwas autoritäre Benutzeroberfläche, als wäre man auf einem Amt.

Deshalb also die Graffitis?

Ja, aber es geht mir nicht darum, ein perfektes Produkt zu entwickeln, sondern darum, einen Denkanstoß zu geben: Das ist alles nur HTML, nicht schwer zu verstehen, nicht schwer zu verändern. Man muss auch nicht akzeptieren, dass google.de weiß ist. Es kann pink sein, wenn ich das will. Die Leute sollen hinter die Masken schauen, die Motorhaube aufmachen. Sie sollen selbst Hand anlegen und nicht einfach aus Faulheit akzeptieren, was ihnen vorgeschrieben wird.

Viele Projekte realisierst du zusammen mit anderen Künstlern des Free Art and Technology Lab. Wie funktioniert die Kunst des F.A.T. Lab technisch: Hackt ihr euch auf den Webseiten ein?

Wir schreiben Programme, sogenannte Add-Ons, die man runterladen und im eigenen Browser installieren kann. Wenn ich dann eine Website aufrufe, verändert das Add-On in meinem Browser die Darstellung der Seite. Ich kann Dinge tun, die sonst nicht möglich sind, zum Beispiel mit einem Web-Graffiti-Programm überall im Netz Tags hinterlassen.

Und wer kann das dann sehen?

Jeder andere Nutzer, der dasselbe Programm installiert hat. Und ich sehe seine Spray-Künste.

Bist du ein guter Sprayer?

Keine Ahnung. In echt hab’ ich es nie probiert.

Mit anderen Projekten, etwa mit »Pirates of the Amazon«, bewegt ihr euch deutlich näher an den Grenzen der Legalität. Wie hoch sind eure Anwaltskosten?

Wir haben zum Glück eine Anwältin im Team. Für den Umsonst-Button, den wir bei Amazon eingefügt haben, gab es jedenfalls gleich eine Abmahnung. Die Website mit unserer Software war nur zwei Tage online. Ob das legal war? Ich würde sagen, wir bewegen uns in einer Grauzone oder  auf juristischem Neuland.

Mit dem Umsonst-Button gelangte man auf die illegale Tauschbörse The Pirate Bay. Habt ihr damit nicht mehr den Urhebern als Amazon geschadet?

Es geht ja nicht darum, irgendwem zu schaden. Es geht um den Diskurs, den wir mit solchen Aktionen antreiben wollen. Und der Umgang mit dem Copyright ist eines der ganz großen Themen der digitalen Gesellschaft.

Mit Google, Amazon, Facebook seid ihr jetzt bald durch – was kommt als Nächstes?

Apple steht natürlich weit oben auf der Wunschliste. In diesem hermetisch abgeriegelten System von Apps und iTunes wird man ja auch unfassbar gegängelt. Aber Apple ist sehr schwer zu knacken, denn egal was man tut – die Fanboys wenden es doch wieder ins Positive. Und am Ende wirkt es, als wäre man selbst einer. Dabei sollte man eigentlich alle Apple-Produkte aus dem Fenster schmeißen.«

Tobias Leingruber, 26, hat an der Merz Akademie in Stuttgart Kommunikationsdesign studiert. Seit 2007 gehört er zum Free Art and Technology Lab (F.A.T. Lab). Dieses internationale Web-Guerilla-Netz besteht aus etwa zwanzig Leuten – Künstlern, Ingenieuren, Wissenschaftlern, Musikern –, die an der Entwicklung kreativer Software und Medien arbeiten.

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