HAUS BAUEN, BAUM PFLANZEN, BUCH SCHREIBEN

Seit Jahren dient das Internet als Ort literarischer Selbstverwirklichung. Jetzt soll mit den Hobbyautoren endlich Geld verdient werden. ZEIT ONLINE. 10. November 2011.

Liebe löst bekanntlich die Zunge. „Dich immer zu lieben dazu bin ich bereit./ Dich lieblich zu küssen fehlt mir niemals die Zeit.“ Die Zeilen stammen von Horst Fleitmann, einem Autor, den man so nicht kennt. Dabei umfasst sein Werk fast 200 Gedichte und etliche Kurzgeschichten. Zu lesen sind sie allerdings nur im Internet, auf e-Stories.de. Seit 1999 haben Hobbyschriftsteller dort 125.000 Gedichte und 25.000 Kurzgeschichten eingestellt.

Man könnte jetzt süffisant ausholen, über die Schreiblust der Deutschen spotten, darüber, dass jeder Versicherungsvertreter und jede Steuerfachgehilfin einen halben autobiografischen Roman oder ein Dutzend schwärmerischer Verse in der Schublade hat. Man könnte feststellen, dass die meisten dieser Schriften von überschaubarer literarischer Qualität sind. Aber dass das Internet, in das das Volk seine literarischen Ergüsse kippt, ja bekanntlich geduldig ist…

Man könnte, nur – der Hochmut ist unangebracht. Denn ausgehend von Mitmach-Literaturforen wie kurzgeschichten.de oder leselupe.de hat sich im letzten Jahrzehnt eine Szene entwickelt, die erstens mittlerweile beachtliche Ausmaße angenommen hat. Und die zweitens, und da wird die Sache richtig interessant, die Geschäftsmodelle des klassischen Buchmarkts gerade fundamental umzukrempeln beginnt.

„Die Autoren sind die letzte Gruppe der Kreativen, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen“, sagt Nils Later. Er arbeitet bei Bookrix.de, einem deutschen Startup mit Sitz in München, das sich gerne als „myspace für Autoren“ bezeichnet. Bei Bookrix gibt es keine Einlasskontrolle, hier darf jeder alles publizieren, Grundkenntnisse in Kommasetzung oder Rechtschreibung sind nicht nötig. Der Andrang ist riesig. Seit Mai 2008 ist Bookrix online; 70.000 kostenlose Bücher umfasst das deutschsprachige Sortiment mittlerweile. Und die Texte finden durchaus ein Publikum: 250.000 unique visits hat die Seite zurzeit im Monat, seit 2010 wurden eine Millionen E-Books heruntergeladen.

Das Geschäftsmodell von Bookrix ist ein internettypisches: Erst eine Community aufbauen, dann übers Geld verdienen nachdenken. Noch werden die Gehälter der 40 Mitarbeiter von Investorenkapital bezahlt. Das wird sich in Kürze ändern. „Die Autoren sollen künftig selbst über die Vertriebswege bestimmen können“, erklärt Later. Konkret heißt das: Wer seine Texte weiter verschenken will, darf das gerne und kostenlos tun. Wer sich dagegen eine zahlende Leserschaft wünscht, darf einen beliebigen Preis für sein E-Book festsetzen. Dafür wird eine einmalige Grundgebühr zwischen 5 und 25 Euro fällig, je nachdem, ob das Buch nur bei Bookrix oder auch in anderen E-Books-Shops angeboten werden soll. Und natürlich verdient Bookrix prozentual an jedem verkauften Buch mit.

Die Idee ist nicht neu, Andrea Schober hatte sie schon vor drei Jahren. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin von XinXii.com und hat, anders als Bookrix, von Anfang an auf das Provisionsmodell ohne Verlag gesetzt, mit dem neuerdings auch Platzhirsch Amazon auf den deutschen E-Book-Markt drängt. Bei XinXii gibt es gar keine kostenlosen Inhalte, nur Bezahlware. Eine Grundgebühr wird für die Veröffentlichung eines E-Books nicht fällig, aber je nach Preissegment und Distributionskanälen bleiben 30 bis 60 Prozent des Nettoverkaufspreises bei XinXii. Auch hier ist die Nachfrage groß, zumindest seitens der Produzenten: 10.000 Autoren haben mittlerweile 14.000 E-Books veröffentlicht. Über die dazugehörigen Downloadraten und Umsatzzahlen schweigt sich das Unternehmen allerdings aus.

Dabei ist genau das das größte Manko dieses neuen Marktes, den die Akteure am liebsten mit klingenden Worten wie Selbstbestimmung, Echtzeitveröffentlichung, freie Preisgestaltung und Longtail-Ansatz beschreiben. Was sie nicht sagen: Wie ein unbekannter Autor überhaupt zu relevanten Reichweiten kommen sollen. Im Printbereich übernehmen die Verlage diese mühsame Aufgabe, sie drucken Vorschauhefte, schicken Vertreter los, machen Pressearbeit, schalten Anzeigen.

Online ist dagegen jeder seines eigenen Glückes Schmied. „Marketing und PR obliegen dem Autor“, erklärt XinXii-Chefin Schober. Wer Leser anlocken will, muss selbst im Bekanntenkreis oder in den sozialen Netzwerken die Werbetrommel rühren. Bei Bookrix ist das nicht anders. „Man muss sich ins Gespräch bringen“, rät Nils Later, „zum Beispiel andere Bücher kommentieren, so dass die Leute auf einen aufmerksam werden.“
Denn nur die Community kann Sieger küren. Wo kein Verlag darüber bestimmt, was als Spitzentitel platziert wird, zählt lediglich das Ranking: meistgelesen, meist kommentiert, meist runtergeladen. Die beliebtesten E-Books wiederum profitieren dann von den Rückkopplungseffekten der Listen, die sie anführen. Wer oben steht, wird noch häufiger angeklickt.

Beim Droemer Knaur Verlag hat man diese gruppendynamischen Prozesse in den letzten Jahren neugierig verfolgt – und sich dann im Herbst 2010 entschlossen, selbst eine literarische Community ins Leben zu rufen: Neobooks.com. Auch hier lässt sich jedes Textdokument kostenlos in eine hübsche EPUB-Datei samt stimmungsvollem Covermotiv umwandeln. Soweit die Parallelen zu den anderen Portalen, das Geschäftsmodell unterscheidet sich ansonsten grundlegend. „Neobooks ist ein Aquise-Portal für Droemer Knaur“, erklärt Projektleiterin Ina Fuchshuber. Der Verlag schöpft quasi den Rahm ab: Die erfolgreichsten Newcomer werden ausgesiebt und dann professionell lektoriert und vertrieben. 22 Neobooks-Autoren haben es mittlerweile ins reguläre E-Book-Sortiment von Dromer Knauer geschafft. Und mit Birgit Böcklis Krimi „Friesensturm“ kommt im Frühling 2012 ein erstes Neobooks-Taschenbuch in die Buchläden.

Weil der Verlag mit Verträgen lockt, sind die Rankings bei Neobooks hart umkämpft – und anfällig für Manipulationsversuche. Anfangs haben manche Autoren ihre Freunde und Bekannten eingespannt, um gute Bewertungen und hohe Klickzahlen zu erzeugen. „Da haben wir durchaus Lehrgeld bezahlt“, gibt Fuchshuber zu. Mittlerweile ist das Verfahren komplexer und hierarchischer, es gibt Top-Rezensenten, deren Stimme mehr Gewicht hat als die eines Gelegenheitskommentators. Außerdem hält der Verlag die Community mit allerlei Leckerlis bei Laune, aktive Mitglieder bekommen schon mal Buchgeschenke oder eine Einladung zur Buchmesse.

Mit den Belohnungssystemen allein lässt sich der Erfolg der Selfpublishing-Seiten trotzdem nicht erklären. „Im Netz kann jeder das sein, was er sein möchte“, sagt Gesine Boesken von der Uni Köln, „der eine will Autor sein, der andere Kritiker.“ Seit Jahren untersucht die Literaturwissenschaftlerin literarische Onlineforen, 2010 ist ihre breit angelegte Studie „Literarisches Handeln im Internet“ (UVK Verlag) erschienen. Die Hobbyautoren bilden keine homogene Gruppe, fand sie heraus, nahezu alle Berufsgruppen und Altersstufen sind vertreten. „Aber alle eint die Hoffnung, gelesen zu werden.“ Es ist der Traum vom großen Durchbruch, über die wohlwollenden kleinen Zirkel und Mikroöffentlichkeiten hinaus, die sich auf den literarischen Plattformen mit der Zeit herausbilden. „Doch Breitenwirkung zu erzielen“, meint Boesken, „das wird für die meisten schwierig bleiben.“ Sie empfiehlt, die Veröffentlichungsportale daher eher als soziales Experimentierfeld zu begreifen, „als Treffpunkt – oder als Möglichkeit zur Identitätsfindung.“

So sieht das auch Jörg Schwab. Der gelernte Industriekaufmann hat vor zwölf Jahren die Seite e-Stories.de gegründet, auf der Lyriker Fleitmann so aktiv ist. Ein Businessmodell gab es nie, nur ein paar Anzeigen blinken in den Randspalten. Mit der neuen Konkurrenz kann seine Website optisch kaum noch mithalten, man sieht dem Forum an, dass es ein paar Jahre auf Buckel hat. Trotzdem sind viele Stammgäste geblieben, auch weil es ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl gibt. „Hier sind sogar schon Ehen gestiftet worden“, erzählt Schwab. Die neuen Umsatzstrategien der Selfpublishing-Szene will der 36-Jährige auf keinen Fall kopieren, selbst Rankings lehnt er kategorisch ab. Gedichte können auf e-Stories.de zwar bewertet werden, aber die Kritik fließt weder in die Sortierung ein, noch wird sie für andere Leser sichtbar. „Beim Schreiben geht es um persönliche Gefühle“, erklärt der Hobby-Verleger, „da kann ich doch keine Schulnoten drunter setzen.“

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