„MAN MUSS SICH NICHT EINKITSCHEN“

Keine kann das wie sie: Steffi Kühnerts Figuren schwanken zwischen Verzweiflung und Würde, zwischen Abgrund und Lebenslust. In Andreas Dresens neuem Film „Halt auf freier Stecke“ spielt sie die Ehefrau eines Todkranken. DAS MAGAZIN. November 2011.

MAGAZIN: Frau Kühnert, ich habe bei der Pressevorführung Ihres neuen Films zwei Stunden lang geheult. Danach wollte ich meinem Freund sofort einen Heiratsantrag machen.

Kühnert: Und, haben Sie?

MAGAZIN: Naja, so halb. Jedenfalls war ich tief bewegt. Aber das haben Sie seit der gefeierten Premiere in Cannes vermutlich schon öfter gehört, oder?

Kühnert: Ja. Aber es gibt auch gegenteilige Reaktionen, Leute, die zumachen, auf Distanz gehen. Das hat wahrscheinlich seine Gründe, man weiß ja nicht, mit welchem Schicksal jeder so beladen ist. Aber dass der Film Emotionen auslöst, war schon Absicht. Wobei, an Durchheulen haben wir nicht gedacht, weil wir ja auch heitere Momente drin haben. Aber komischerweise ist das mit dem Lachen schwierig für die Zuschauer. Das verbieten sie sich scheinbar.

MAGAZIN: Ist das denn ein Kompliment, wenn jemand sagt, Sie als tapfere Ehefrau sind so ergreifend…

Kühnert: Ja, natürlich. Man will ja, wenn ich‘s mal so blöd ausdrücken darf, an die Herzen rühren.

MAGAZIN: Im Film sagen Sie es den Kindern, Sie organisieren die Besuche der Schwiegereltern, Sie schlucken die Tränen runter und handeln. Wie findet man in so eine Figur, in so ein Schicksal hinein?

Kühnert: Ich glaube, es hat mit der Wesensart zu tun. Und auch mit dem Lebensalter, mit den Situationen, die man selber schon erfahren hat. Meine Schwiegermutter hat mal erzählt, dass sie mit einem älteren Kollegen gesprochen hat und der hat gesagt: Er merke, dass er älter wird – und zwar daran, dass er jetzt schneller gerührt ist. Da ist was dran. Weil man so viel im Kopf hat, weil man nicht mehr so unbedarft ist, auch durch die Kinder. Man weiß, was alles passieren kann. Und mit Mitte, Ende Vierzig hat man sich auch schon viel bewusster mit dem Thema Tod  befasst.

MAGAZIN: Es gab kein Drehbuch, der Film basiert auf Improvisation. Wie kann man sich das vorstellen?

Kühnert: Im Vorfeld hatte die Dramaturgin viele authentische Fälle recherchiert. Das haben wir uns gegenseitig weitergereicht, vorgelesen, Bücher gewälzt über Tod und Krankheit. Herrliche Sommerlektüre hatte ich da.

MAGAZIN: Wie haben Sie sich jeden Morgen vor Drehbeginn eingestimmt auf die Geschichte? Zwiebeln unter die Augen?

Kühnert: Man muss sich nicht einkitschen, das nicht. Aber wenn du so ein sensibles, hochemotionales Thema behandelst, kannst du dich nicht schonen. Ich glaube, es gab nicht einen Drehtag, wo wir nicht auch geweint haben. Wir sind nicht weggeschwommen oder so – aber wenn man emotionale Momente hat, kann man das nicht auf halber Flamme machen. Ich würde das gar nicht mal als Begabung bezeichnen, vielleicht eher als Typfrage. Ich bin zum Beispiel ein Mensch, der sowieso nahe am Wasser gebaut ist.

MAGAZIN: Für seinen authentischen Ton ist der Film sehr gelobt worden. Andererseits könnte man daraus genauso gut einen Vorwurf machen: Am Ende war doch alles nur perfekt gespielt. Milan Peschel stirbt nicht, Sie gehen mit Ihrer Gage nachhause.

Kühnert: Da ist durchaus ein Punkt, an dem sich die Geister scheiden. Es gab ja auch schon Meinungen im Feuilleton, die geschrieben haben: Warum dann keinen Dokumentarfilm? Was soll das? Aber wenn Andreas Dresen solche Improvisationsfilme macht, dann will er eben so realistisch wie möglich sein: Wie ist das, wenn Familienmitglieder zuhause sterben? Gibt man sie weg? Wann holt man sich Hilfe? Wie lange erträgt man das? Was bedeutet das für die ökonomische Situation? Das war die Herausforderung: sich viel genauer mit dem Thema zu befassen, als das hier in Deutschland üblich ist. Das ist ja immer noch ein Tabu.

MAGAZIN: Auch im Film sieht man viel vom großen, verlegenen Schweigen.

Kühnert: Wir haben uns ganz viel umgehorcht: Wie geht die Umwelt mit solchen Krankheiten um? Oft vollkommen verklemmt. Das ist ja auch wahnsinnig schwer. Aber dass man es thematisiert, dass man darüber kommuniziert, das ist schon ein erster Schritt.

MAGAZIN: Sie drehen relativ viele Filme, in denen Sie unglückliche, alkoholkranke, vom Leben gebeutelte Frauen spiele. Ist das mittlerweile Ihr Rollenfach?

Kühnert: Irgendwie schon. Vielleicht wegen „Halbe Treppe“, das war ja auch schon ein bisschen Milieu. Und wenn man irgendwo mal mit was auffällig geworden ist, dann bekommt man natürlich auch eher Angebote in dieser Richtung. Dabei könnte ich genauso gut mal eine Adelige spielen. Aber die Tendenz zur Platte ist halt da. Ist ja auch gut so.

MAGAZIN: Sie waren lange ausschließlich am Theater, haben erst spät angefangen zu drehen. Warum?

Kühnert: Ich habe über zwanzig Jahre lang gespielt, jetzt trete ich kürzer. Das ist ja auch so anstrengend, von früh bis spät in dieser Mühle. Beim Film, wenn du schwere Szenen zu spielen hast, ist das auch eine große Anstrengung, aber wenn du abends nachhause gehst, kannst du es aus deinem Gedächtnis entfernen. Am Theater sind erst mal sechs Wochen Probe, wo man jeden Tag von morgens bis abends an nichts anderes denkt. Dann noch die Vorstellungen, die manchmal zwei, drei Jahre lang laufen. Und dann regt man sich am Theater auch immer so auf.

MAGAZIN: Auch über die Kritiker?

Kühnert: Beim Film hat mich das komischerweise nie so berührt. Nicht wie am Theater, wo man eine Premiere hat und dann am übernächsten Tag in sämtlichen Zeitungen irgendwas über sich oder über die Aufführung lesen muss. Gott sei Dank, dass ich das nicht mehr habe! Wenn du wochenlang zur Probe gerammelt bist und denkst, du hast dein Bestes gegeben, und dann wird mit einem Handstreich geschrieben, naja, das war nichts – das ist ein ganz beklemmendes Gefühl, dass du tage- und wochenlang mit dir rumschleppst. Beim Film interessiert mich das nicht so. Außerdem vergeht zwischen den Dreharbeiten und den Kritiken so viel Zeit, dass man sowieso schon wieder Abstand gewonnen hat.

MAGAZIN: Sie haben am Theater viele Komödien gespielt. Warum jetzt im Kino immer Sozialdrama?

Kühnert: Wobei, bei Leander Haußmann, da darf ich ja immer das Maskottchen spielen.

MAGAZIN: Was macht mehr Spaß, Komödie oder Tragödie?

Kühnert: Das kann man so nicht sagen. Wenn man emotional sein kann, ist das sehr ausfüllend.  Komödie ist viel mehr Handwerk, da musst du brillieren, schnell sein. Das ist auch schwer. Das andere ist intuitiver.

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