DIE AUSWEITUNG DER KAMPFZONE

Der Wahlerfolg der Piraten hat auch die Debatte um das Urheberrecht neu entfacht. Droht dem Buchmarkt ein ähnlicher Glaubenskrieg wie der Musikbranche? TAGESSPIEGEL und ZEIT ONLINE. 13. Oktober 2011.

Die schlechte Nachricht zuerst: 1,9 Millionen Deutsche lesen mittlerweile Bücher auf Bildschirmen, aber nur die Hälfte von ihnen bezahlt für die Inhalte. Die andere Hälfte der Nutzer besorgt sich die Dateien auf anderen Wegen. Vor wenigen Wochen hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels aktuelle Zahlen vorgelegt: Demnach sollen im letzten Jahr rund 800.000 E-Book-Leser insgesamt 14 Millionen Bücher illegal heruntergeladen haben. Die Zahlen sind allerdings nicht ganz eindeutig, denn  auch Downloads von privaten Websites, Blogs oder Newsforen wurden grundsätzlich als „illegal“ bewertet.

Noch ist das alles, und das ist dann wohl die gute Nachricht, weder für Verlage noch für Autoren existenzbedrohend. Das hängt damit zusammen, dass die Deutschen – anders als die Amerikaner – ausgesprochene E-Book-Muffel sind. Daran haben bislang auch die optimistischen Wachstumsprognosen, die seit Jahren den Auftakt der Frankfurter Buchmesse begleiten, wenig ändern können. Von den 9,7 Milliarden Euro, die 2010 in Deutschland mit dem Verkauf von Büchern umgesetzt wurden, stammte weniger als ein Prozent aus dem E-Book-Geschäft; im ersten Halbjahr 2011 waren es überschaubare 0,7 Prozent. Trotzdem, so Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels gegenüber dem Tagesspiegel, seien die Downloadzahlen ein Grund zur Sorge: „Beim E-Book-Markt in Deutschland handelt es sich noch um ein sehr junges Angebot – dafür ist der Markt aber bereits jetzt schon sehr stark von illegalen Downloads betroffen.“ Von Überdramatisieren könne keine Rede sein.

Der Konflikt ist bekannt: Das Internet löst das Werk von seinem Datenträger, es erleichtert das Tauschen und Kopieren, es verringert die Akzeptanz für Urheber-, vor allem aber für die dazugehörigen Verwertungsrechte, die z.B. ein Autor meistens an einen Verlag abtritt. Bei den hitzig geführten Auseinandersetzungen um die Anpassungen des Urheberrechts ans digitale Zeitalter bleibt der Urheber selbst deshalb meistens außen vor. Die Front verläuft zwischen den Verwertern und den Endnutzern – oder zwischen den Verwertern und den Verteilern, z.B. Suchmaschinen oder Videoplattformen. Friedliche Einigung ist fast nirgendwo in Sicht, weder beim Thema Open Access noch beim Leistungsschutzrecht. Lediglich beim Umgang mit den so genannten „verwaisten Werken“ deutet sich gerade ein politischer Kompromiss an.

Die große strukturelle Umwälzung hat bislang nur die Musikbranche hinter sich. Anfangs hatte man noch mit Kopierschutz und Abmahnungen versucht, dem Filesharing beizukommen. Heute gibt es ein breites legales Angebot, und drei Viertel aller Nutzer greifen laut der aktuellen „Studie zur digitalen Content-Nutzung (DCN)“ ausschließlich darauf zurück. Die illegalen Downloads von Einzeltracks sind in den letzten fünf Jahren von 412 Millionen auf 185 Millionen gesunken. Der Musikindustrie ist das natürlich immer noch zuviel.

Die Verlagsbranche macht keinen Hehl daraus, dass sie ähnliche Entwicklungen nicht nur fürchtet, sondern am liebsten im Keim ersticken will. Deshalb tritt sie neuerdings die Flucht nach vorne an, fordert eine Politik der harten Hand, wie sie zum Beispiel in Frankreich schon praktiziert wird. Dort werden die Nutzer bei illegalen Downloads zweimal von ihrem Provider ermahnt, beim dritten Mal droht die temporäre Sperrung des Internetzugangs. Für dieses umstrittene Three-Strikes-Modell spricht sich Skipis zwar nicht explizit aus, aber er argumentiert durchaus mit der abschreckenden Wirkung von Verwarnungen: „81 Prozent derjenigen, die selbst Medieninhalte illegal herunterladen, glauben, dass die Versendung von Warnhinweisen dazu führen würde, dass Menschen illegales Filesharing einstellen. Der Ansatz kann also so falsch nicht sein.“ Seine Schlussfolgerung: Es brauche „spürbare Sanktionen für rechtswidriges Handeln.“ Wörtlich wiederholt hat diese Forderung vorgestern auch Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, bei seiner Eröffnungsrede zur Buchmesse.

Dass die Töne derart scharf geworden sind, wundert Matthias Spielkamp nicht. Der 41-Jährige ist Mitbegründer des Portals www.iRights.info, das seit 2005 über das Kleingedruckte im deutschen Urheberrecht informiert. Auch er ist sich sicher, dass die digitale Leselust in den nächsten Jahren deutlich zunehmen wird. Die politische Strategie der Verlagsbranche hält er trotzdem für absolut kontraproduktiv: Einerseits werde der Verbraucher damit massiv verunsichert, „viele Leute halten ja selbst die erlaubte Privatkopie schon für illegal.“ Andererseits wächst mit jeder unverhältnismäßigen Drohgebärde auch das Heer der Verärgerten. Deren Position sei dann die komplette Boykottierung des Geschäftsmodells: „Die finden die Forderungen der Verwerter völlig realitätsfremd und richten sich schon deshalb nicht mehr danach.“

Vor allem die Piratenpartei steht in dem Ruf, sowohl das Urheber- als auch das Patentrecht am liebsten sofort abschaffen zu wollen; auch Honnefelder hat in seiner Rede nicht vergessen, darauf  hinzuweisen. Am aktuellen Grundsatzprogramm der Piraten lässt sich ein solcher Pauschalverdacht allerdings nicht verifizieren, im Gegenteil. „Wir erkennen die Persönlichkeitsrechte der Urheber an ihrem Werk in vollem Umfang an“, heißt es da. Den Piraten sind weniger die Urheber, als vielmehr die Geschäftsmodelle der Verwerter ein Dorn im Auge: Durch deren Kopierschutz werde die Verfügbarkeit von kulturellen Gütern „künstlich“ verknappt: „Die Schaffung von künstlichem Mangel aus rein wirtschaftlichen Interessen erscheint uns unmoralisch, daher lehnen wir diese Verfahren ab.“ Stattdessen sollte „die nichtkommerzielle Vervielfältigung und Nutzung von Werken als natürlich betrachtet werden.“ Dass man damit den einen Verwertern (den Verlagen) die Geschäftsgrundlage entzieht, während man anderen Verwertern (wie Google) möglicherweise in die Hände spielt, wie Cicero-Chefredakteur Michael Naumann kürzlich süffisant anmerkte, ficht die Piraten dabei erst mal nicht an.

Sollte die junge Partei mittelfristig politisch präsent bleiben, dann werden sich die verbalen Gefechte ums Urheberrecht – die letzten Tage haben darauf einen Vorgeschmack gegeben – weiter verschärfen. Das E-Book selbst ist daran allerdings nicht ganz unschuldig: Noch immer ist es verhältnismäßig teuer, außerdem verkaufen unterschiedliche Anbieter unterschiedliche Formate für unterschiedliche Lesegeräte. Und natürlich kann man ein E-Book, anders als ein gedrucktes Buch, weder verschenken noch gebraucht weiterverkaufen. Für den Urheberrechtsexperte Spielkamp ist das der eigentliche Skandal: „Wenn dir der Buchhändler ein Buch verkauft, dann darfst du mit diesem sogenannten Werkstück machen, was du willst.“ Nicht mit dem Inhalt, aber mit dem materiellen Datenträger. Im Urheberrecht heißt das Erschöpfungsgrundsatz.

Bei einem digitalen Buch greift der Erschöpfungsgrundsatz nicht mehr, der Nutzer erwirbt lediglich eine Nutzungslizenz. Seine Leseerlaubnis darf er weder übertragen, noch vererben oder verkaufen. Es gibt deshalb Forderungen der Verbraucherschutzverbände, den Erschöpfungsgrundsatz auch auf immaterielle Güter auszuweiten. In der Studie „Verbraucherschutz im Urheberrecht“, die der Bundesband der Verbraucherzentralen vor einigen Monaten vorgelegt hat, wird unter anderem die „Einführung einer allgemeinen Weiterveräußerungsbefugnis“ für „unkörperliche Werkexemplare“ gefordert. Dann dürfte man sein rechtmäßig erworbenes E-Book auch wieder in Umlauf bringen.

Das Problem: Anders als das analoge Werkexemplar kann das digitale theoretisch beliebig vervielfältig werden, ohne dass sich Original und Kopie in ihrer Qualität unterscheiden. Schon deshalb haben die Verlage wenig Interesse daran, dass E-Books im Netz frei herumfloaten. Matthias Spielkamp dagegen wehrt sich gegen den pauschalen Verdacht, der hinter jeder Nutzungseinschränkung steht: „Die meisten sind ja bereit, zu bezahlen, aber es wird nicht belohnt.“ Für den lesehungrigen Nutzer brauche es bequeme legale Wege, um an E-Books zu kommen, die er dann natürlich wahlweise auf seinem eReader, seinem Smartphone oder seinem Tablet-PC lesen darf. Branchenriese Amazon sei da zurzeit in der Pole-Position, „das Kindle-Ökosystem funktioniert schon verdammt gut.“

Börsenverein-Geschäftsführer Skipis kann sich ebenfalls gut vorstellen, dass die Erfahrungen, die die Musikbranche mit Plattformen wie dem iTunes-Store gemacht hat, Impulse für den Buchmarkt geben könnten. Auch wenn sich das Prinzip, einzelne Songs für wenige Cents zu kaufen, nicht ohne weiteres auf Bücher übertragen lässt: „Bei Romanen ist es sicher schwierig, nur einzelne Kapitel anzubieten. Ganz anders stellt sich das Potenzial zum Beispiel für die Bereiche Reiseliteratur und Ratgeber dar – hier ist ein Angebot in überschaubaren Portionen durchaus nachgefragt.“ Ob die Kundschaft sich allerdings mit solchen Texthäppchen massenhaft in digitale Buchläden locken lässt, bleibt abzuwarten. Vielleicht nicht, solange die Leser mit ihren E-Books immer noch „inkompatibel“ und „verleihen verboten“ assoziieren.

 

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