MEINE TOCHTER, DAS SOZIALE NETZWERK UND ICH

Eine 11-Jährige, die unbedingt ihr Profil ins Internet stellen will. Und eine Mutter, die nicht weiß, was sie davon halten soll. BERLINER MORGENPOST. 04. April 2011.

Seit drei Monaten hat meine Tochter eine eigene Emailadresse, vorgestern bekam sie zum ersten Mal Post von Mark Zuckerberg. Also, offiziell natürlich nicht vom Facebook-Chef selbst, sondern angeblich von ihrer Freundin Lulu. „Schau dir meine Fotos auf Facebook an – von dir ist bestimmt auch eins dabei“ stand in der Betreffzeile. Und die Mail selbst begann mit einer vertrauenseinflößenden Anrede – bei ihrem Vornamen.

Nachdem ich kurz fassungslos nach Luft geschnappt hatte (Adressbücher von Kindern auslesen!, unerlaubte Werbung!, Unverschämtheit!), befanden wir uns schon wieder mitten in der üblichen Diskussion. „Mama, warum darf ich mich nicht anmelden?“ Gemeint sind Facebook, SchülerVZ, MSN. Bis vor einem halben Jahr war das alles kein Thema, jetzt gibt es kaum noch ein anderes. Angeblich ist fast die ganze Klasse schon in Netzwerken aktiv. „Alle sind drin! Nur ich nicht!“

Aha, soso, alle. Das halte ich zwar für grob übertrieben, aber ein Blick in die aktuelle Kinder-und-Medien-Studie (KIM) gibt meiner Tochter zumindest teilweise recht: Jedes Jahr ermittelt der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest die Nutzungszeiten und -vorlieben von Kindern ab 6 Jahren. Und stellt seit zwei Jahren vor allem immense Steigerungen bei den Sozialen Netzwerken fest. In der Altersgruppe der 6- bis 7-Jährigen sind mittlerweile 5 Prozent der Kinder mit eigenem Profil angemeldet, bei den 8- bis 9-Jährigen schon 13 Prozent und von den 10- bis 11-Jährigen sind 35 Prozent Mitglied in einer Community. Besonders beliebt ist dabei SchülerVZ (66 Prozent), aber 20 Prozent dieser Kinder sind auch schon bei Facebook, 12 Prozent bei wer-kennt-wen und 7 Prozent bei den Lokalisten.

Wie kann das sein? Eigentlich erlaubt SchülerVZ erst ab 12 Jahren eine Anmeldung, bei Facebook muss man mindestens 13 Jahre alt sein, bei wer-kennt-wen und bei den Lokalisten sogar 14. Und diese Altersbeschränkungen sind durchaus sinnvoll, denn die jungen Nutzer sollten das Wort Datenschutz bei der Erstanmeldung wenigstens schon mal gehört haben. Besonders streng kontrolliert wird bei den Registrierungen aber scheinbar trotzdem nicht.

Ich beschließe, zuerst beim amerikanischen Marktführer nachzufragen, wie gut aufgehoben 11-Jährige dort eigentlich sind – immerhin will Facebook meine Tochter ja am dringendsten als Neukundin gewinnen. Unter „Datenschutz“ findet sich bei Facebook tatsächlich sofort ein Absatz zum Thema Jugendschutz: „Wir haben uns zum Schutz von Minderjährigen, die Facebook verwenden, verpflichtet. Bis zu ihrem 18. Geburtstag erstellen wir für Minderjährige kein öffentliches Suchergebnis. Außerdem wird die Sichtbarkeit ihrer Informationen auf Freunde von Freunden und Netzwerke beschränkt, auch wenn sie die Einstellung ‚Alle‘ für diese ausgewählt haben.“

Keine Sichtbarkeit in externen Suchmaschinen und automatische Privatsphäre-Einstellungen bis zur Volljährigkeit – das ist noch nicht viel, aber besser als nichts. Aber was, wenn sich 9-Jährige bei der Erstanmeldung 4 Jahre älter machen, fällt dann der Jugendschutz schon mit 14 wieder weg? Oder darf man in diesem Fall ausnahmsweise das Geburtsdatum wieder korrigieren? Obwohl man ja bei der Anmeldung streng auf Wahrhaftigkeit eingeschworen wird – formuliert übrigens in recht alttestamentarischem Duktus. Erstes Gebot: „Du wirst keine falschen persönlichen Informationen auf Facebook bereitstellen.“ Und wurde nicht einem deutschen Fernsehjournalisten neulich wegen einer Geburtstagskorrektur sogar das Profil gesperrt?

Ich würde diese Fragen gerne irgendwem persönlich stellen, aber Facebook möchte ganz offensichtlich von niemandem angemailt oder angerufen werden. Ansprechpartner oder direkte Kontakte finden sich nirgendwo auf der Seite, nicht mal im Klitzekleingedruckten. Zum Glück kenne ich die Hamburger PR-Agentur, die Facebook in Deutschland vertritt. Hier schicke ich meine Fragen hin: Kann ich als Minderjähriger mein falsches Alter rückkorrigieren? Was ist mit der Fotogesichtserkennung, die Facebook neulich vorgestellt hat? Gibt es eine Hotline für Kinder oder Eltern? Und ist die Verortungsfunktion „Places“, wo man sich – sichtbar für alle – an konkreten Orten einloggt, für Minderjährige gesperrt?

Die Antworten kommen nach zwei Tagen, freigegeben von der amerikanischen Pressezentrale. Ja, kleinere Alterskorrekturen bei Minderjährigen werden toleriert, aber nicht nach oben, über die magische Volljährigkeitsgrenze hinaus. Bei Problemen aller Art gibt es unter dem Menüpunkt „Hilfe“ ein Kontaktformular, das auch Nicht-Mitglieder nutzen können. Die automatische Gesichtserkennung steht in Deutschland „derzeit nicht zur Verfügung“. Die Verortungsfunktion dagegen kann von Jugendlichen in Deutschland genutzt werden, wenn auch mit Einschränkungen. „Facebook gefällt mir nur solala“, sage ich am Abend zu meiner Tochter.

Bleibt also SchülerVZ. Was sofort angenehm auffällt: An Informationen und realen Kontaktmöglichkeiten für Eltern mangelt es nicht. Von der Startseite aus braucht es nur ein, zwei Klicks – und schon bin ich hinter den Kulissen: Geschäftsführung, Presseabteilung, Jugendschutzbeauftragter, alle mit Emailadressen und deutschen Festnetznummern. Am Telefon habe ich dann auch gleich einen echten Mitarbeiter, der alle meine Fragen beantwortet.

Wieso so viele jüngere Kinder aktiv sind? Das liege einerseits daran, so der Firmensprecher, „dass wir bei der Registrierung keine Ausweiskopie verlangen können.“ Eine Überprüfung des Alters sei außerdem bei rund 6 Millionen SchülerVZ-Nutzern „weder technisch noch personell“ machbar. Immerhin: Wenn Schüler selbst auffällige Personen melden, dann fordert das VZ-Netzwerk durchaus mal eine Ausweiskopie an.

Das finde ich zwar auch nur halbwegs befriedigend, aber dafür klingt der Rest ganz ordentlich: Bei der Anmeldung muss nur ein Name, eine Emailadresse, Geburtsdatum und Schule angegeben werden, alle weiteren Angaben sind freiwillig. Einen Zwang, das Profil unter „Klarnamen“ zu führen, gibt es nicht, man kann also auch mit einem unverfänglichen Nickname auf SchülerVZ unterwegs sein. Die Schüler-Profile sind außerdem von außen nicht einsehbar, werden auch von Suchmaschinen wie Google nicht gefunden. Daten werden nicht weiter verkauft – und wer Bilder aus seinem Profil löscht, der kann sichergehen, dass „diese nach maximal 48 Stunden auch von unseren Servern unwiederbringlich entfernt sind.“ Das alles ist übrigens auch TÜV geprüft.

„Also gut“, verkünde ich dem Nachwuchs, „SchülerVZ geht in Ordnung.“ Aber erst, nachdem wir noch eine abendfüllende Unterhaltung über Cybermobbing geführt haben. Darüber, was es bedeutet, sich selbst im Netz mit Bildern und Kommentaren zu exponieren, sich womöglich auch über andere zu unterhalten, also persönliche Schulhof-Sympathien oder auch Abneigungen ins Netz hinein zu verlängern. Ein wacher Sinn und ein offenes Auge für verbale Entgleisungen schaden nicht, finde ich, auch nicht bei einer 11-Jährigen.

Und auch sonst habe ich noch die ein oder andere Bedingung: „Bei der Anmeldung will ich natürlich dabei sein.“ Außerdem gilt: Keine fremden Freunde akzeptieren, keine Handynummer oder Adresse rausgeben, keine Gehässigkeiten posten usw. Meine Tochter sagt zu allem Ja und Amen, wie immer, wenn sie auf der Ziellinie ihrer Wünsche ist. Eine SMS später hat sie eine Einladung zu SchülerVZ in ihrem Email-Postfach. Und diesmal ist es wirklich eine persönliche Nachricht.

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