„EIGENTLICH MÜSSEN WIR ÜBER ARBEITSZEITEN REDEN“

Was will der Staat, was brauchen die Familien? Ein Gespräch mit der Politikwissenschaftlerin Regine Roemheld. BERLINER MORGENPOST. 2. April 2011.

Warum ist die Kinderbetreuung in Deutschland so eine Dauerbaustelle?

Das hat mit dem deutschen Familienbild zu tun. Und mit dem Artikel 6 des Grundgesetzes, wonach die Familien – und nicht der Staat – primär für die Kinder zuständig sind. Das hatte man nach 1945 so festgeschrieben, weil in der Nazizeit die staatlichen Einflüsse massiv waren. Und auch die Kirchen haben nach 1945 in Westdeutschland stark mitgeredet. Und die haben ein Interesse daran, dass die Eltern zuständig sind für die Erziehung und nicht die öffentliche Hand.

Und das wirkt bis heute nach?

In Westdeutschland schon. In Ostdeutschland hat man den Arbeitsmarkt dagegen nach dem schwedischen Vorbild geregelt. Man wollte eine Arbeitsgesellschaft begründen, in der auch alle Frauen mitarbeiten. Und dazu hat man die entsprechenden Betreuungsmöglichkeiten geschaffen.

In der DDR gab es schon für sechs Wochen alte Säuglinge Rundumbetreuung, man konnte seine Kinder sogar in Wochenkrippen abgeben. Klingt nicht nach gemütlichem Familienleben.

Natürlich gab es extreme Auswüchse. Und dass Kinder wochenweise von den Eltern getrennt waren, hat sich sicher negativ ausgewirkt. Aber insgesamt ist die sogenannte „Erwerbsneigung“ der Frauen hier im Osten immer noch deutlich höher als im Westen. Dort predigte man seit der Adenauerzeit: Die Kinder gehören in die Familien und nicht in eine öffentliche Betreuung.

Das ändert sich seit einigen Jahren, jetzt setzt sich sogar die CDU für den Ausbau der Betreuungsangebote ein. Ist das ein Zugeständnis an die Wünsche der Wählerinnen – oder stecken noch andere Motive dahinter?

Natürlich stecken auch bevölkerungspolitische Motive dahinter. Denn wenn ein Staat Frauen die Möglichkeit gibt, einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen, dann wirkt sich das positiv auf die Zahl der Geburten aus. In den europäischen Ländern, in denen Frauen durchgängig erwerbstätig sind oder nur kurz aussetzen, ist die Bereitschaft Kinder zu bekommen sehr viel größer – das wissen wir aus vielen Studien. Außerdem werden die Frauen inzwischen als Fachkräfte dringend gebraucht.

Das heißt, die berufstätige Mutter nutzt dem Staat gleich doppelt: weil sie mehr Kinder kriegt und das Bruttosozialprodukt steigert?

Auf jeden Fall. Aber das Problem ist, dass man im Westen lange das Ernährermodell bevorzugt hat. Man wollte Frauen überhaupt nicht im Arbeitsmarkt haben. Dabei schafft die Erwerbstätigkeit für die Frauen natürlich auch Unabhängigkeit. Abgesehen davon, dass eine berufstätige Frau höhere Rentenansprüche hat – und damit seltener Armut im Alter droht.

Trotz doppelter Einkommen ist die Kinderbetreuung für viele Familie ein hoher Kostenfaktor, zumal wenn nachmittags Babysitter einspringen müssen. Was kann die Politik tun?

Zum Beispiel für flexiblere Öffnungszeiten der Kitas sorgen. Wenn eine Frau Spätdienst hat oder im Einzelhandel arbeitet, dann hat sie ein Riesenproblem. Und wenn sie alleinerziehend ist, profitiert sie – im Gegensatz zu kinderlosen Ehepaaren! – nicht mal vom Ehegattensplitting. In Frankreich richten sich die Steuervergünstigungen dagegen nach der Zahl der Kinder. In Deutschland wird zwar auch viel Geld für Familien ausgegeben – aber es ist ein ziemliches Durcheinander mit unklaren Wirkungen. Was wir brauchen, sind Dienstleistungen für Familien.

Wir reden jetzt immer über die Frauen. Ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bis heute vor allem ein Problem der Mütter?

Das ist in der Tat so. Das wird immer auf die Frauen abgeschoben. Auch in der DDR war es ja so, dass der Staat nicht ein Bündnis mit den Familien, sondern vor allem mit den Frauen geschlossen hat. Der Staat wollte den Müttern das Großziehen von Kindern erleichtern, zum Beispiel mit Hauswirtschaftstagen. Die Männer waren dagegen eigentlich nur zur Reproduktion vorgesehen und hatten ansonsten kaum Ansprüche oder Rechte. Das ging soweit, dass in der DDR bei Scheidungen Männer nie das Sorgerecht bekamen. Insgesamt liegt auch diesem Modell natürlich ein bestimmtes Frauenbild zugrunde.

Nochmal zu den fehlenden Dienstleistungen heute: Damit beide Eltern gleichberechtigt Vollzeit arbeiten können, bräuchte man eigentlich einen flächendeckenden 24-Stunden-Hort. Aber ist das wirklich erstrebenswert?

Nein. Eigentlich müssen wir über Arbeitszeiten reden. Dieses Problem hat die Wirtschaft überhaupt noch nicht zu ihrem Thema gemacht. Es ist ja inzwischen erwiesen, dass auch Väter nicht ewig lange in der Firma sein müssen, um gute Arbeit zu leisten. Da kann man vieles effektiver gestalten – und damit auch familienfreundlicher. Und ich finde auch, dass Männer noch viel stärker in die Kinderbetreuung einbezogen werden müssen – als Väter und als Betreuer.

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