DER BLINDE FLECK

Das Netz ist ein gigantischer Stromfresser. Ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt das Thema trotzdem nur mühsam. TAGESSPIEGEL und ZEIT ONLINE. 13. Mai 2011.

Er kam, um zu schmeicheln. Als Christian Friege, Chef des Ökostromanbieters Lichtblick, dem diesjährigen  Berliner Blogger-Kongress re:publica seine Aufwartung machte, war er voll des Lobes. „Das Internet verändert Machtgefüge, Märkte, Marken!“, rief er dem jungen Publikum zu. Das Web 2.0 ermögliche eine neue Debattenkultur, auch beim Thema Nachhaltigkeit: „Es kann die Energiewende kritisch begleiten und damit auch beschleunigen.“ Die Botschaft des Hauptsponsors war deutlich: Liebe Blogger, bloggt grün, grüner, am grünsten.

Aber bitte nicht bei Twitter, hätte er vielleicht hinzufügen sollen. Dreimal die Note „ungenügend“ vergab Greenpeace gerade an den amerikanischen Micro-Blogging-Dienst. Die Beurteilungen sind Teil einer kürzlich veröffentlichten Studie, „How dirty is your data?“ haben die Autoren sie provokant genannt. Untersucht wurde der Energiemix, den zehn große IT-Unternehmen – darunter Google, Microsoft, Apple, Amazon, Facebook und Yahoo! – nutzen. Außerdem bewertete Greenpeace die strategischen Standortentscheidungen der Konzerne sowie ihre Bemühungen um Transparenz.

Die Ergebnisse sind eher unerfreulich: Ökologische Nachhaltigkeit spielt in der Firmenpolitik der meisten Marktführer bislang kaum eine Rolle. Facebook etwa betreibt große Serverzentren im US-Bundesstaat North Carolina, dort gibt es Steuervergünstigungen und billigen Strom aus Kohle und Kernkraft. In unmittelbarer Nachbarschaft haben sich  auch Google und Apple niedergelassen. Zwar investiert Google andernorts vorbildlich in Wind- und Solarenergieanlagen, hält sich aber – wie auch die Konkurrenz – bedeckt, wenn es um die Veröffentlichung von Gesamtverbräuchen geht. „Google verfolgt seit 2007 das Ziel, CO2 neutral zu sein“, sagt der deutsche Pressesprecher Ralf Bremer. „Das Einzige, was wir nicht veröffentlichen, sind die Standorte oder die Zahl unserer Datencenter.“

Dabei ist   das die entscheidende Frage: Wie groß ist denn nun der CO2-Fußabdruck, den die Weltbevölkerung beim E-Mailen, Onlineshoppen, Videogucken oder Fotoverwalten mittlerweile hinterlässt? Das Problem: Es ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten. In den USA verbrauchen die Serverparks drei Prozent des nationalen Stroms, schätzt Greenpeace, nicht eingerechnet ist dabei die Energie, die für die Telekommunikationsnetze und an den Endgeräten selbst aufgewendet wird. Weltweit fließen rund 1,5 bis 2 Prozent der global erzeugten Energie in Rechenzentren; bis 2020 wird sich der Wert verdreifachen, möglicherweise sogar vervierfachen.

Ihre wackelige Datenbasis verschleiert die Studie nicht, es geht ohnehin eher um einen propagandistischen Vorstoß. Um den blinden Fleck im Auge der digitalen Gesellschaft: „Da die Cloud unseren digitalen Konsum weitgehend unsichtbar macht – weil Informationen jederzeit magisch einfach herbeigeholt werden können -, fällt es uns schwer zu realisieren, dass unser digitalisiertes Leben mehr und mehr Strom verschlingt.“ Längst bleiben die Laptops Tag und Nacht online: Klick, aktualisieren, klick, runterladen, klick weiterleiten. Wie viel Energie dabei durch den weltweiten Kabelsalat fließt, tja, wer weiß das schon. Und wen kümmert’s?

Ellen Matthies, Professorin für Umweltpsychologie an der Universität Trondheim in Norwegen, erklärt das fehlende Bewusstsein der Endverbraucher vor allem mit der räumlichen Distanz: „Wir können die direkten Energieverbräuche bei der Nutzung von Haushaltsgeräten oder beim Autofahren schon gut mit ihren negativen ökologischen Auswirkungen in Verbindung bringen.“ Anders sieht es bei den indirekten Verbräuchen aus, etwa bei der Herstellung und Auslieferung von Waren: „Das schaffen wir noch nicht.“

Das Internet entzieht sich gleich doppelt der Wahrnehmung: es ist  überall und trotzdem nirgendwo,  immateriell, umsonst, ungreifbar. Wieso sollte man das mit rauchenden Schloten assoziieren? Die Fantasie ist damit überfordert. Auch dass Serverparks gesichtslose Gebäudekomplexe sind, die hermetisch abgeriegelt im Niemandsland herumstehen, macht es schwierig, zu dem Thema einen Bezug aufzubauen. Denn eigentlich, sagt Matthies, braucht das Umweltbewusstsein „konkrete Aha-Erlebnisse“. So wie die Aufnahme einer Wärmebildkamera, die zeigt, wie viel Energie ein ungedämmtes Haus nach außen abgibt.

Wie könnte eine solche Wärmebildkamera für Cloud Services und die dazugehörigen Endgeräte aussehen? Die Nebenwirkungen des digitalen Konsum- und Kommunikationsverhaltens sind hochkomplex, die globalen Kausalketten für den Einzelnen kaum überschaubar. Dass das schöne neue iPhone unter fragwürdigen sozialen und ökologischen Bedingungen hergestellt wird, dann bei der Nutzung unübersichtlich viel Energie verbraucht und zuletzt nur selten korrekt recycelt wird – all das weiß der informierte Konsument, theoretisch. Aber welche Schlüsse zieht er praktisch daraus? Wieder Schallplatten kaufen und Briefe schreiben? Oder ist das die noch größere Umweltsünde? Die Entscheidung zwischen chilenischen Biobirnen oder holländischen Tulpen ist harmlos dagegen.

Man müsse das Internet „systemisch“ betrachten, meint die Wissenschaftlerin Matthies, also in seinem Gesamtkontext. Tatsächlich ist die Liste seiner möglichen positiven ökologischen Effekte  lang: intelligente Stromnetze, verbesserte Transportlogistik, digitale Archive, Videokonferenzen statt Inlandsflüge – all das soll den globalen C02-Ausstoß in den nächsten Jahren um bis zu 15 Prozent reduzieren helfen. Dass der Energiehunger der Endgeräte, Netze und Serverparks dabei zweistellig steigen wird, versteckt  die Branche gern hinter  der Zauberformel „Green IT“. Gemeint ist, dass sparsamere Geräte und  besser ausgelastete Server  es schon richten werden.

Green IT klingt gut. Effizienz plus regenerative Energiequellen klingt besser, meinen  die Umweltschutzorganisationen, und versuchen, öffentlichen Druck auf die Marktführer aufzubauen. In den USA hat Greenpeace sogar Fernsehspots geschaltet, um die facebookbegeisterte Nation zum Aufstand gegen Mark Zuckerbergs Billigstromstrategie zu bewegen. Mit mäßigem Erfolg: 170 000 Fans hat die Facebook-Gruppe „Unfriend Coal“ (www.facebook.com/unfriendcoal) zwar mittlerweile, aber auf einer Plattform, auf der der Hund von Mark Zuckerberg schon 100 000 Freunde hat, sind das Peanuts.

Vielleicht braucht es für die nachhaltige mediale Aufmerksamkeit  noch steilere Thesen. Lichtblick-Chef Friege jedenfalls überraschte das Publikum am Ende seines re:publica-Auftritts mit einem eher untypischen Satz für einen Stromverkäufer: „Die ökologischste Kilowattstunde ist immer noch die, die nicht verbraucht wird.“ Ob die Blogger ihn gehört haben? Im Saal war man schon wieder mit Touchscreenstreicheln beschäftigt.

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