MEINUNGSMACHE

Studien und Wortschöpfungen, Umfragen und Plakatkampagnen: Mit subtilen Mitteln versucht die Atomlobby die Öffentlichkeit zu beeinflussen. Einige Berliner PR-Agenturen helfen eifrig mit. ZITTY. 7. Oktober 2010.

Es war ein kleines Wort, das Tobias Münchmeyer misstrauisch machte. Der Greenpeace-Mitarbeiter saß am Dienstag, den 7. September bei einem Energiekongress in München im Publikum, auf dem Podium sprach RWE-Vorstand Rolf Martin Schmitz über das am Vortag bekannt gegebene Energiekonzept der Bundesregierung – konkret: über die Laufzeitverlängerungen der deutschen Atomkraftwerke. „Schmitz war während seiner Rede nicht nur auffällig gut gelaunt“, erinnert sich Münchmeyer im Nachhinein, er habe auch dieses eine Wort sehr oft benutzt. Das Wort „wir.“

Nach der Rede durften Fragen gestellt werden, Münchmeyer stellte gleich mehrere: Wann denn nun „wer wie und wo“ eine konkrete Vereinbarung mit der Bundesregierung trifft? Und wer der Öffentlichkeit garantiert, dass diese Vereinbarung nicht erneut gebrochen wird – so wie das schon mit dem Atomkonsens geschehen sei? Schmitz, so erinnert sich Münchmeyer, sei ziemlich daraufhin ungehalten geworden. Und dann rutschte es dem Vorstandsmitglied heraus: dass es einen solchen Vertrag längst gebe, man habe ihn noch in der Nacht zum Montag unterzeichnet. „Damit war die Neuigkeit draußen“, sagt Münchmeyer zwei Wochen später in seinem Berliner Büro in der Marienstraße, „es gab ein Geheimabkommen.“

Der versehentlichen Bekanntgabe folgte der Image-Gau – sowohl für die Regierung als auch für die Energiekonzerne. Ein ungutes Gefühl machte sich breit in der Bevölkerung, das Gefühl, dass Konzernchefs Politikern ihre Konditionen in die Feder diktieren. „Solche Spitzentreffen zwischen Konzernchefs und Politikern sind politisch ekelerregend“, sagt Münchmeyer, „aber nur die Spitze des Eisbergs.“ Die eigentliche Lobbyarbeit fängt schon viel früher und viele  Hierarchieebenen tiefer an, zum Beispiel da, wo Gesetzesentwürfe ausgearbeitet werden. Und auch die Beeinflussung der Öffentlichkeit spielt eine entscheidende Rolle.

Marco Althaus ist Dozent an der Technischen Hochschule Wildau und seit langem spezialisiert auf Public Affairs, also auf die Dienstleistung Meinungsmache. „Kampagnenkultur“, nennt Althaus diese Prozesse, „und eigentlich versuchen viele Branchen, sich dabei auf das Fachpublikum zu beschränken.“ An einer breiten Mobilisierung der Öffentlichkeit hätten viele Konzerne überhaupt kein Interesse. Zu komplex, zu aufwändig, zu teuer. Und im Zweifelsfall mit zu viel kommunikativem Restrisiko verbunden. Bei hochemotionalen Themen allerdings, so der Politikwissenschaftler, „kann es durchaus nötig sein, die öffentliche Akzeptanz zu stabilisieren.“

Ein übliches Mittel ist dann die defensiv argumentierende Anzeige – „Issue Ad“ oder „Advocacy Advertising“ heißt das auf Neudeutsch. Aktuell finden sich solche Anzeigen unter anderem im Magazin „Spiegel“, demnächst soll auch das Berliner Stadtgebiet plakatiert werden. „Klimaschützer unter sich“ steht da in weißen Buchstaben, darunter zu sehen sind Maisfelder, Windräder und: ein Kernkraftwerk. Auftraggeber der Kampagne ist das Deutsche Atomforum, das eng mit E.on, RWE, EnBW und Vattenfall zusammenarbeitet. Der finanzkräftige Verein sitzt in Mitte am Robert-Koch-Platz, wenige Meter vom Wirtschaftsministerium entfernt.

Maik Luckow, der Pressesprecher des Atomforums, möchte sich zu der Anzeigenkampagne  „gegenwärtig überhaupt nicht äußern.“ Tobias Münchmeyer dafür umso lieber: „Systematisch versucht die Branche seit einigen Jahren, das grüne Image der Atomenergie zu stärken.“ Das Adjektiv „klimaverträglich“ sei dabei sehr gezielt implementiert worden. Tatsächlich gab es bereits 2007 und 2008 eine ähnliche Anzeigenstrecke, auch damals war das Deutsche Atomforum der Auftraggeber, die ausführende Agentur: Scholz & Friends.

„Es geht darum, Themen zu steuern“, erklärt der Wissenschaftler Althaus, „nicht nur über was diskutiert wird –  sondern vor allem wie darüber diskutiert wird.“ Viele Branchen praktizieren dabei  am liebsten eine Mischung aus vorteilhafter Selbstdarstellung und mahnender Sorge. Eine interne Powerpoint-Präsentation des RWE-Kommunikationschefs Volker Heck, die zitty vorliegt, zeigt, wie so etwas aussehen kann. Unter der Überschrift „Energiepolitische Themen auf der Agenda – CEO treibt den Dialog und die Themen“ steht unter Punkt zwei: „Aktives und erfolgreiches Marketing für die Kernenergie und für das Konzept der Laufzeitverlängerung“. Es folgt unter Punkt drei: „Erfolgreiche Platzierung der Warnung vor der Stromlücke“. Das Papier stammt aus dem Jahr 2008.

Die Fahrpläne für das „Themenmanagement“ entstehen laut Althaus oft Monate oder Jahre im Voraus, entschieden werden sie in den großen Kommunikationsabteilungen der Konzerne, ausgeführt und umgesetzt von PR- und Public-Affairs-Agenturen. „Fast alles, was an Kreativleistungen, Werbung, Internet, Presse-Events, Kampagnenmaterial und dergleichen gebraucht wird, machen Agenturen.“ Eine ganze Branche rund um die Friedrichstraße lebt von diesen lukrativen Aufträgen. Ihre Kunden sind neben den Energieversorgern auch Pharmakonzerne, Bundesministerien, Wirtschaftsverbände, Banken.

Die Agenturen bieten nicht nur Slogans und Bildmotive, sondern „orchestrierte Kommunikationslösungen“ an. In der Wöhlertstraße in Mitte, bei „Scholz & Friends Agenda“, will man sich über die langjährige Zusammenarbeit mit dem Deutschen Atomforum lieber nicht öffentlich äußern. Aber auf ihrer Website wirbt die Agentur damit, „Themen und Botschaften“ der Kundschaft „in alle journalistischen Formate“ zu übersetzen.

Auch sogenannte Verlagsbeilagen, kostspielige Zeitungen in der Zeitung, zählen zu diesen journalistischen Formaten. Das Deutsche Atomforum gibt – zusammen mit der Agentur des ehemaligen B.Z.-Chefredakteurs Georg Gafron – regelmäßig eine heraus, die jüngste lag Mitte September der „Welt am Sonntag“  und der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ bei. Titel: „Die Welt setzt auf Kernenergie – mehr denn je“, zitiert wurden unter anderem Barack Obama und Bob Geldof.

Begleitet werden solche Publikationen von regelmäßigen Pressemitteilungen, die der gleichen Argumentation folgen. „Eine Mehrheit der Deutschen […] möchte auf den Beitrag der Kernenergie zu einer versorgungssicheren, klimaverträglichen und wirtschaftlichen Stromversorgung nicht verzichten“, erklärte das Atomforum schon im Mai 2010. Woher man das weiß? Natürlich aus einer Umfrage. „Wären Sie für eine weitere Nutzung der Kernenergie in Deutschland, wenn die Frage der sicheren Endlagerung radioaktiver Abfälle gelöst wäre?“, hatte das Forschungsinstitut TNS im Auftrag des Atomforums rund 1.000 Menschen gefragt. 61 Prozent antworteten: Ja.

Tobias Münchmeyer von Greenpeace beeindruckt die Zahl wenig. „Die Manipulationsmöglichkeit von Umfragen ist gewaltig“, erklärt er, vor allem komme es darauf an, ob man Suggestivfragen verwendet oder nicht. Medial wirksamer ist deshalb die wissenschaftliche Studie. Auch damit warten beiden Seiten regelmäßig auf – Befürworter genauso wie Gegner. „Eine ziemliche Studienschlacht ist das manchmal“, gibt Münchmeyer zu. Und auch hier kommt es aufs Kleingedruckte an. „Man muss immer fragen, wer bei welchen Forschungsinstituten in den Vorständen sitzt – und welche personellen und finanziellen Verknüpfungen zum Auftraggeber bestehen.“

Genau das ist das Thema von Lobbycontrol. Der Verein, der in Köln ein kleines Büro mit vier Festangestellten unterhält, beobachtet alle Branchen, die um politischen Einfluss kämpfen – und fordert vor allem eins: mehr Transparenz. „Wer bezahlt wen wofür, wer spricht wo in wessen Namen?“, fasst Heidi Klein das Anliegen ihrer Arbeit zusammen. An vielen Stellen der Mediengesellschaft, findet sie, wäre da dringend mehr kritisches Bewusstsein, mehr professionelle Distanz nötig. Vor allem bei den Journalisten.

Denn Journalisten kommt eine zentrale Rolle beim Agenda-Setting zu. Das wissen die Konzernpressestellen – und bemühen sich um einen guten Service für die Kollegen in den Redaktionen. „Da werden dann auch journalistisch anmutende Beiträge zum Runterladen angeboten“, erzählt Heidi Klein. Das Angebot richtet sich weniger an die großen Verlage mit ihren Reporter- und Rechercheteams, sondern an die vielen kleinen Lokalmedien, die unter Personalmangel leiden und oft um jeden Platzfüller froh sind. „Ich wundere mich, wie gut das angenommen wird“, sagt Klein, „wie oft solche von PR-Agenturen verfertigten Beiträge eins zu eins übernommen werden.“

Bei überregionalen Medien funktionieren solche Strategien seltener. Da greifen andere Mechanismen. Auch die hängen mit Anzeigen und Beilagen zusammen. „Die Anzeigen spielen eine doppelte Rolle“, erläutert Klein, „zum einen ist das der Platz für Botschaften, zum anderen sind die Zeitungen erheblich angewiesen auf diese Anzeigenkunden.“ E.on, RWE, EnBW und Vattenfall schalten ganzjährig großzügig Werbung – bevorzugt in den sogenannten Leitmedien. Für viele Zeitschriften und Zeitungen sind sie damit eine relevante Einnahmequelle.

Das allein bedeutet noch nicht, dass sich eine Redaktion in ihrer Berichterstattung beeinflussen lässt. „Aber“, so Klein, „es entsteht sowohl eine wirtschaftliche als auch eine soziale Nähe.“  Wichtige Anzeigenkunden werden regelmäßig zu hochkarätigen Verlagsempfängen und Promi-Events eingeladen. Umgekehrt hat auch Vattenfall schon Politiker und ausgewählte Medienvertreter zu einem exklusiven Anna Netrebko Konzert in die Staatsoper gebeten.

Und einige Journalisten scheuen diese Nähe gar nicht. Bei der diesjährigen Jahrestagung des Atomforums saßen einige Chefredakteure auf dem Podium, moderiert werden solche Veranstaltungen in der Regel von bekannten TV-Journalisten. Bei Lobbycontrol sieht man solche Begegnungen sehr kritisch. „Natürlich darf man sich treffen, ins Gespräch kommen oder auf Podiumsdiskussionen nebeneinander sitzen“, sagt Heidi Klein. Aber die Grenzen sind oft fließend. Wie viel Geld wird für eine Moderation oder einen Vortrag bezahlt, wie exklusiv ist das Ambiente, wie häufig wird wer von wem eingeladen? „Es geht ja darum, auch Außenstehende zu Botschaftern zu machen“, erklärt Klein. Stabile Geschäftsbeziehung plus subtile Beziehungspflege –  im Lobby-Schmelztiegel Mitte floriert beides.

So wie neulich, am 14. September. Da lud das Deutsche Atomforum zu der Veranstaltung „Energie im Dialog“ ein – und zwar ins Atrium der FAZ-Redaktion in der Mittelstraße. „Dass man sich in die Räume einer unabhängigen Tageszeitung einmietet, ist schon, gelinde gesagt, ungewöhnlich“, sagt Greenpeace-Mann Münchmeyer. Aber so richtig gewundert hat es ihn dann doch wieder nicht.

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