EINE FRAU SIEHT PINK

Seit einem Jahr kämpft Stevie Schmiedel. Gegen Barbies und Überraschungseier. Gegen H&M und Heidi Klum. Vor allem aber – gegen den Deutschen Werberat. DAS MAGAZIN. März 2013.

Wie eine verbissene Wutmutter sieht sie nicht aus. Höchstens ein bisschen übermüdet. Stevie Schmiedel sitzt in grauer Strickjacke im Café der Hamburger Kunsthalle, hat Augenringe und beste Laune. Kein Wunder: In den letzten zwölf Monaten hat die 41-Jährige Plakatkampagnen gekippt, Pressesprecher ins Schleudern gebracht, Unternehmen bloßgestellt. Stevie Schmiedel ist Herz und Kopf und Frontfrau von Pinkstinks Deutschland – einem Verein, der, wie sie es offiziell ausdrückt, dagegen kämpft, dass Mädchen eine „limitierende Geschlechterrolle“ zugewiesen wird. Kindheit in Pink? Das stinkt!

Es waren nicht ihre beiden Töchter, die den Ausschlag gaben. „Ich weiß, das wäre jetzt eine schöne Anekdote“, sagt sie. Aber die Geschichte geht anders. Schmiedel hat in London und Nottingham Genderwissenschaften studiert, ist dann als Wissenschaftlerin in ihre Heimatstadt Hamburg zurückgekehrt. Im Frühling 2012 leitete sie ein Seminar zum Thema Populärkultur und Essstörungen, es ging um den Zusammenhang zwischen medialen Vorbildern und weiblichem Körpergefühl. Seit sieben Jahren, erklärt Schmiedel, seit „Germany’s next Topmodel“ im Fernsehen läuft, beobachtet die Forschung einen besorgniserregenden Trend: 2006 waren 70 Prozent der jungen Mädchen zufrieden mit ihrem Körper, 2009 noch 55 Prozent, 2012 nur noch 47 Prozent.

Aber wie das so ist: Ein paar Tage lang geisterte das Thema im letzten Frühling durch die Medien, ein Kölner Professor warnte sogar, dass Heidi Klums Show das Körperbild von Kindern stark gefährde. Dann ging man wieder zur Tagesordnung über. „Und eine Woche später war ganz Hamburg gepflastert von Heidi Klum Plakaten in Barbie-Pose.“ Die Werbung für die nächste Staffel lief an. „Ich war so wütend“, sagt Schmiedel heute. Damals ist sie durch Hamburg gepoltert, hat bei Zeitungen angerufen, sich überall lautstark über die Außenwerbung beschwert. Dass sie Wissenschaftlerin ist, einen Doktortitel trägt, hat einige Türen geöffnet. Die „Zeit“ machte ein Interview. Und Stevie Schmiedel forderte in einem Nebensatz, dass die britische Initiative Pinkstinks endlich nach Deutschland kommen müsse. Aus der Bemerkung wurde ein Selbstläufer, dutzende Leserinnen und Leser ermunterten sie, das Projekt selbst zu initiieren. Im Juli 2012 ging die Website www.pinkstinks.de online, im Oktober wurde der Verein gegründet. Und aus der Hochschuldozentin wurde über Nacht eine Aktivistin.

Schmiedel und ihre Mitstreiter sind Teil einer weltweiten Bewegung. In England ist Pinkstinks seit fünf Jahren aktiv, die Gründerinnen Abi und Emmy Moore kämpfen gegen Spielzeughersteller, die für Mädchen nur Make-up-Sets, Kinder-Staubsauger und Glitzergedöns im Angebot haben. In Australien engagiert sich die Initiative TowardTheStars.com gegen weibliche Stereotypen in den Kinderzimmern. In den USA gibt eine Prinzessinnen-freie-Zone (Princessfreezone.com); die Heldin der Website heißt Super-Tool-Lula und ist das weibliche Pendant zu Bob der Baumeister.

Auch Stevie Schmiedel hasst den süßlichen Mädchenkram in den Katalogen und Spielzeugabteilungen, diese ganzen dümmlichen, glubschäugigen, anorektischen Figuren. Sie hat eine Unterschriften-Aktion gegen das rosafarbene Überraschungs-Ei gestartet, dutzende Zeitungen haben darüber berichtet. Nur Ferrero hat sich bislang nicht beeindrucken lassen. Egal: Das Thema ist gesetzt, die Gegenwehr sichtbar. So funktioniert Kampagnenarbeit. Auf ihrem Blog stänkert Schmiedel auch regelmäßig gegen andere beliebte Produkte, Lillifee zum Beispiel.
Dabei weiß sie natürlich, dass die Kausalitäten nicht so einfach sind. „Nicht jedes Mädchen, das mit Barbies spielt, entwickelt eine Essstörung.“ Aber, fügt sie an, die Prägungen funktionieren indirekt, über viele Jahren und viele Kanäle. Und auch wenn kleine Mädchen ihre pinke Phase überwinden, wenn sie Fußball spielen oder sich die Haare kurz schneiden: Die Rollenbilder, denen sie von frühster Kindheit an überall begegnen, hinterlassen tiefe Spuren. Frauen, das weiß jedes Kind, sind die, die schlank sein müssen. Die im Auto rechts sitzen. Und mit deren nackten Körpern man von Duschgel bis Lebensversicherungen alles verkaufen kann. Frauen sind die, die begehrt werden, nicht die, die begehren.

Draußen regnet es, drinnen ist Schmiedel jetzt richtig in Fahrt. Den Einwand, so eindeutig sei die Sache mit den Geschlechteridentitäten doch längst nicht mehr, fegt sie sofort vom Tisch. Das Ende der Männer, von dem jetzt alle reden? „Ich wein‘ gleich“, sagt sie und lacht. Dann kontert sie mit Zahlen: Weder häusliche Gewalt noch Vergewaltigungen seien rückläufig. Selbstverletzendes Verhalten und Essstörungen bei jungen Mädchen nehmen seit Jahren zu. „Das kommt doch alles nicht von ungefähr! Es gibt in dieser Gesellschaft ein Frauenbild, das Frauen demütigt und herabwürdigt.“ Und daran sei auch die immer obszönere Werbung schuld. „Vor zwanzig Jahren hätten wir die Dessous-Fotos, mit denen H&M vor Weihnachten ganz Deutschland zugepflastert hat, noch als Pornografie bezeichnet. Heute läuft das unter Erotik.“

Schmiedel kann die schleichende Verschiebung der Wahrnehmung beweisen. Sie hat in der Adventszeit in der Hamburger Innenstadt Mädchen und junge Frauen vor den H&M Plakaten interviewt. Die 13-, 14-Jährigen fanden die Bilder schrecklich, fühlten sich eingeschüchtert. Die Älteren argumentierten schon mit „Ästhetik“, das sei doch nett anzusehen. „Junge Frauen sind bereits auf diese unerreichbaren Körpernormen konditioniert“, meint Schmiedel. „Und außerdem wissen sie: Einwände sind uncool.“

Wer mäkelt, gilt als Spaßbremse. Als verklemmt, prüde. Schmiedel macht sich viele Gedanken darüber, ob ihr Engagement für ihre Töchter, die heute 6 und 8 Jahre alt sind, irgendwann zum Problem werden könnte. „Ich versuche, dass ganze Thema komplett von den Kindern fernzuhalten.“ Dogmatismus im Alltag ist ihr sowieso fremd. „Manche Leute denken ja, meine Töchter kriegen Hausarrest, wenn sie mit einer Barbie nachhause kommt.“ So ist es nicht. Schmiedel schminkt sich auch, sie zieht pinke Pullover und hohe Schuhe an. Vor allem bei öffentlichen Auftritten. Mama hat wieder ihre Kriegsbemalung aufgelegt, sagen die Töchter dann.

Dabei versucht Schmiedel den Krieg ganz zivilisiert zu führen, lächelnd, im Dialog. Mit dem Pressesprecher von C&A, über deren Unterwäsche-Bilder sie sich letztes Jahr beim Deutschen Werberat beschwert hatte, steht sie mittlerweile in freundlichem Kontakt. Auch mit den Leuten von Ströer, die in Hamburg alle städtischen Werbeflächen vermarkten. Ihr Weg ist der der kleinen, gemeinsamen Fortschritte. Warum nicht mal eine Barbie mit Schweißerbrille und normaler Taille? Oder eine Axe-Werbung, die ohne stupide schmachtende Blondinen auskommt? Einfach: weniger Fotoshop, weniger Duckface. Dafür mehr Selbstbewusstsein, mehr Respekt.

Mit ihrer Botschaft hat sich Schmiedel nicht nur Freunde gemacht. Regelmäßig kommt Post von christlichen Fundamentalisten, die auf die „natürlich Rolle“ der Frau pochen. Andere fühlen sich von ihrer Konsumkritik provoziert. Ob denn jede Frau, die Nagellack trage, eine Tussi sei, fragte mal pikiert eine Gender-Beauftragte. Den radikalen Feministinnen wiederum geht Schmiedels Ansatz nicht weit genug. Sie sei doch auch nur so eine, „die ins Fernsehen will“, schrieb eine Kommentatorin auf einem Blog. „Ganz ehrlich“, sagt sie, „wenn ich das Projekt ohne persönliche Medienpräsenz machte könnte, wäre es noch tausend mal besser.“ Aber so läuft es nun mal nicht. Politische Forderungen funktionieren nur über Geschichten. Und Geschichten nur über charismatische Protagonisten. Beziehungsweise: charmante, attraktive Protagonistinnen.

Und die charmante, attraktive Stevie Schmiedel hat noch viel vor. Für dieses Jahr hat sich der Verein einen Frontalangriff auf den Deutschen Werberat vorgenommen. Vor wenigen Tagen ist eine Online-Petition (www.petition-werberat.de) gestartet, mit der sie tausende Unterschriften sammeln wollen. Sexistische Werbung im öffentlichen Raum müsse aus der Sicht von Kindern beurteilt werden, fordert Pinkstinks, fadenscheinige Argumente wie ‚Das sei doch ironisch‘ oder ‚Der mündige Durchschnittsverbraucher könne das schon einordnen‘ dürften nicht länger gelten. Falls der Druck auf den Werberat nicht ausreichen sollte, hat Schmiedel schon einen Plan B im Ärmel. Zusammen mit Juristinnen und Genderforschern arbeitet Pinkstinks an einem Gesetzesentwurf. Nächste Haltstelle: Petition an den Deutschen Bundestag.

Sie habe gerade erst richtig Feuer gefangen, sagt Schmiedel zum Abschied. „Ich atme, denke, lebe, träume Pinkstinks. Ich gehe damit ins Bett und wache damit auf.“ Sagt es, beißt ein letztes Mal in ihr Schoko-Croissant und muss dann ganz schnell los. Um viertel vor eins geht ihre S-Bahn, um halb zwei kommen die Töchter hungrig aus der Schule nachhause. In Hamburg sind Hortplätze für Grundschüler rar. Aber das ist eine andere Geschichte. Oder vielleicht doch nicht.

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