BILLIGER ALS KAUFEN, BESSER ALS KLAUEN

Legale Streaming-Angebote könnten sich für Kulturkonsumenten als Kompromiss erweisen. Eine Patentlösung für die Urheber sind sie nicht. ZEIT ONLINE. 26. April 2012

Zwölf Jahre ist es her, dass Wirtschaftswissenschaftler Jeremy Rifkin das Zeitalter des Zugangs anbrechen sah. Das Streben nach Besitz werde zukünftig kaum noch eine Rolle spielen, schreibt er in seinem Buch „Access“: „Die Anbieter der neuen Ökonomie werden ihr Eigentum verpachten und vermieten oder Zugangsgebühren, Abonnement- oder Mitgliedsbeiträge für seinen befristeten Gebrauch erheben.“ Und auch die Mentalität der Verbraucher werde sich grundlegend ändern: „Sie streben weniger nach dem Eigentum an einer Sache, denn nach seiner Verfügbarkeit.“

Ein gutes Jahrzehnt später ist das Zugangsprinzip zumindest in der Musikbranche angekommen. Zwischen teurem Kaufen und illegalem Besorgen hat sich das legale Streaming, also der auf allen Endgeräten verfügbare Zugang zur Cloud, als beliebter Mittelweg herausgebildet: Der Musik-Streaming-Dienst Spotify, der seit wenigen Wochen auch in Deutschland verfügbar ist, meldet aktuell 10 Millionen Nutzer aus 13 Ländern, drei Millionen davon sind zahlende Abonnenten. Beim Konkurrenten Simfy sind zwei Millionen Nutzer aus Deutschland, Österreich, Belgien und der Schweiz registriert. Und die Plattform Last.fm, die 14 Millionen Musiktitel zum Streaming bereithält, hat in Deutschland drei Millionen Nutzer.

Bei der GEMA freut man sich über diese neuen Geschäftspartner. „Wir sind froh um jeden Anbieter, der seinen Dienst in Deutschland startet und seine Musiknutzung lizensiert“, sagt GEMA-Sprecher Peter Hempel. Seit Dezember 2011 gibt es einen Rahmenvertrag zwischen der GEMA und dem Branchenverband BITKOM, der erstmals auch die Abgaben von Musik-on-Demand-Angeboten einheitlich regelt. Danach stehen den Rechteinhabern 10,25 Prozent der durch Nutzung generierten Einnahmen zu, egal, ob diese Einnahmen durch Download, „entgeltliches Streaming“ oder werbefinanzierte Angebote erzielt werden. Wie hoch die Ausschüttungen allerdings letztlich ausfallen werden, könne man zurzeit noch nicht beurteilen, meint Hempel. „Beim Streaming macht es natürlich die Masse.“ Die abgestuften Mindestvergütungen, die der Tarif ebenfalls festschreibt, fangen bei werbefinanzierten Diensten bei 0,02 Cent pro Stream an.

Mit den Einnahmen aus Verkäufen sind solche Beträge nicht vergleichbar, Streaming  fällt für die Urheber finanziell eher unter Kleinvieh, das in Zukunft hoffentlich noch viel mehr Mist machen wird. Trotzdem sind mit dem Geschäftsmodell viele Hoffnungen verknüpft: Zum einen zeichnet sich ab, dass kostengünstige oder werbefinanzierte Streaming-Plattformen von einem Großteil der Nutzer als angenehme Alternative zu riskanten Downloads auf illegalen Tauschbörsen wahrgenommen werden. Zum anderen haben die diversen Streamingdienste durchaus das Potential, in der bislang eher unfruchtbaren Diskussion um eine staatliche Kulturabgabe im Netz einfach privatwirtschaftliche Fakten schaffen. „Für internetaffine Musikfans stellen die Angebote der Streaming-Dienste wohl schon heute eine perfekte Alternative zur vieldiskutierten Kulturflatrate dar“, meint Simfy-Pressesprecher Marcus von Husen.

Warum also kein Spotify für Filme, für Bücher, für alles? Auch Kinofilme oder TV-Serien will kaum noch jemand besitzen, einmal ausleihen und anschauen reicht in der Regel. Das Rezeptionsmodell ließe also sich durchaus ausweiten. Allerdings steckt der Teufel im Detail. Beim Filmstreaming sind das neben den technischen Voraussetzungen (nötig ist eine Breitbahnverbindung mit mindestens 2 MBit/s) auch kartellrechtliche Hürden. Gerade erst hat das Bundeskartellamt RTL und ProSiebenSat1 die Gründung einer gemeinsamen Streaming-Plattform untersagt, weil durch den Zusammenschluss eine zu starke Konzentration auf dem Markt für Fernsehwerbung drohe.

In Deutschland gibt es zwar bereits etliche legale Online-Verleih-Portale, die Streaming anbieten, doch bisher ist die Auswahl überall lückenhaft und Flatrates immer noch eine Seltenheit. Abgesehen davon graben sich Anbieter wie Videoload (T-Online), Maxdome (ProSieben) und Lovefilm (Amazon) auch beim Aufbau ihres Kundenstamms gegenseitig das Wasser ab. Und die Konkurrenz schläft nicht: Gerade haben ARD und ZFD angekündigt, in Kürze ebenfalls mit einer kommerziellen Streaming-Plattform in den Markt einzusteigen.

Dass die Wachstumsprognosen berechtigt und nach oben hin noch viel Luft ist, zeigt indes ein Blick auf den globalen Markt: Der amerikanische Online-Verleih Netflix, bei dem die Zuschauer Filme sowohl physisch ausleihen als auch per Stream anschauen können, kommt weltweit bereits auf rund 23 Millionen Abonnenten. Was Netflix weitgehend hinter sich hat, steht den deutschen Anbietern noch bevor: der Abschluss von dutzenden Einzelverträge, die zum Aufbau eines legalen Sortiments nötig sind. Das Streaming-Angebot von Lovefilm etwa umfasst zurzeit erst 1.600 Filme und TV-Serien. Immerhin konnten gerade neue Kooperationen mit etlichen internationalen Sendern und Produktionsfirmen besiegelt werden, erklärt Unternehmenssprecherin Viktoria Wasilewski.

Mit ähnlichen Schwierigkeiten sieht sich auch die Buchbranche konfrontiert. Zwar gibt es mittlerweile mit dem schwedischen Litfy und dem spanischen 24symbols zwei europäische Start-ups, die sich dem E-Book-Streaming verschrieben haben. Allerdings stecken die Experimente noch in den Kinderschuhen, Litfy hat zum Beispiel noch keine konkreten Kooperationen mit Verlagen abgeschlossen: „Zurzeit haben wir nur Bücher im Sortiment, deren Copyright ausgelaufen ist“, erläutert Geschäftsführer Henrik Hussfelt. Überschaubare 3.000 englischsprachige Titel sind das bislang erst.

Einen Schritt weiter ist da der deutsche E-Book-Verleih Skoobe, der bei der diesjährigen Leipziger Buchmesse vorgestellt wurde. Aus 8.000 Titeln von insgesamt 70 Verlagen kann der Abonnent dort für 9,99 Euro im Monat auswählen. Allerdings bietet Skoobe keinen unbeschränkten Zugang zur Cloud; der Nutzer darf maximal fünf Bücher gleichzeitig ausleihen bzw. runterladen. Ob das ausreicht, den miserablen Ruf des deutschen E-Books (zu teuer, zu inkompatibel, zu kopiergeschützt) zu erschüttern, muss Skoobe erst noch beweisen. „Der Schlüssel liegt in einer attraktiven, nachfrageorientierten Produkt- und Preisgestaltung“, meint Geschäftsführer Henning Peters.

Ähnlich sieht das auch Steffen Meier, Sprecher des Arbeitskreises Elektronisches Publizieren beim Börsenverein des deutschen Buchhandels. „Natürlich ist uns nicht entgangen, dass überall Abo-, Streaming- und All-you-can-eat-Modelle aus dem Boden schießen.“ Dass es trotzdem noch keine digitale Streaming-Bibliothek mit Millionen Buchtiteln gibt, liege aber keineswegs daran, dass die Verlage es mal wieder verschlafen haben. „Das wird uns ja gerne nachgesagt, ist aber Quatsch.“ Stattdessen weist Meier auf die strukturellen Unterschiede zwischen Buch- und Musikbranche hin. Dort nur ein Handvoll globaler Rechteinhaber, hier die mittelständische deutsche Verlagsszene, die sehr diversifiziert sei. „Für die Umsetzung einer Streaming-Plattform müsste man mit hunderten Verlagen einzeln verhandeln. Das heißt aber nicht, dass es nicht möglich wäre.“

Möglich vielleicht, aber auch ein gewinnversprechendes Modell für die letzten in der Verwertungskette – die Urheber? Einen finanziellen Kompromiss zu finden zwischen den Zugangs- und Flatrate-Wünschen der Kundschaft und den Preisvorstellungen der Rechteinhaber könnte sich in Bezug auf Bücher als ungleich schwieriger herausstellen. Denn selbst Bestseller werden nicht milliardenfach gestreamt, sondern bestenfalls ein paar hunderttausend Mal gelesen.

 

 

 

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