WER WIE WAS, WIESO WESHALB WARUM

Hinter dem kleinen Verein LobbyControl steckt eine Gruppe von Idealisten. Ihr Ziel: die Demokratie transparenter zu machen. DAS MAGAZIN. April 2012.

Ein Sonntag im März, wir stehen vor einem unauffälligen Bürokomplex nahe der Friedrichstraße und gucken auf ein goldenes Schild. „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ steht da. „Das klingt unverdächtig, oder?“, fragt unser Stadtführer Christoph. Die Gruppe um ihn herum nickt unschlüssig. Dann holt der 29-Jährige aus und erklärt, wer hinter dem Namen steckt (Arbeitgeberverband Gesamtmetall), welche Ziele verfolgt werden (z.B. Mindestlohn verhindern), welche Mittel dabei zum Einsatz kommen (z.B. Unterrichtsmaterial mit tendenziösem Inhalt verschenken) und wie viel Geld im Spiel ist (7 Millionen Euro Budget jährlich). „Noch Fragen?“ Nein, die knapp dreißig Zuhörer, vom Strickmütze-Studenten bis zum Anorak-Rentner, sind vorerst sprachlos. „Gut“, sagt Christoph, „dann jetzt gehen wir weiter Richtung Unter den Linden. Zu VW.“

In Berlin ist die Lobbyistendichte hoch, um die 5.000 sind es vermutlich. Genaue Zahlen gibt es nicht, denn Deutschland hat kein verbindliches Lobbyregister wie die USA, nicht mal ein freiwilliges wie die EU in Brüssel. „Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir hier vor Ort sind.“ Die Frau, die das sagt, sitzt in einem kleinen Zimmer am Schiffbauerdamm in einem Plattenbau. Es riecht nach frisch aufgestellten Holzregalen, zwei grüne Gewächse stehen auf dem Tisch, eine blaue Thermokanne, das Fenster geht zu einem Parkplatz raus. Christina Deckwirth, 33, ist promovierte Politikwissenschaftlerin und neuerdings die Außenstelle von LobbyControl in Berlin. Der Kölner Verein beobachtet seit sechs Jahren die deutsche Lobbyszene, „wir recherchieren, wir stellen Forderungen und wir klären die Öffentlichkeit auf.“ Dazu gehören auch die sonntäglichen Stadtführungen rund ums Regierungsviertel.

Unter den Linden braust der Verkehr, Menschenmassen schieben sich über den Boulevard. Unsere Gruppe hat sich in den Hauseingang der VW Repräsentanz gequetscht und redet über Schadstoffausstöße. Auch Autos werden – wie Kühlschränke – neuerdings in Effizienzklassen eingeteilt, referiert unser Stadtführer, „es gibt Noten von A bis G.“ Allerdings bekommt keineswegs das kleinste, sparsamste Auto die beste Note und der größte Spritfresser die schlechteste. Oft ist es sogar umgekehrt. „Weil für die Benotung der CO2 Ausstoß ins Verhältnis zum Gewicht des Fahrzeugs gesetzt wird.“ Und wer hat sich für dieses besonders absurde Beispiel von Öko-Schön-Rechnen eingesetzt? Genau, eine der mächtigsten Lobbygruppen Deutschlands, der Verband der Automobilindustrie.

Christina Deckwirth kann sich über sowas aufregen, immer noch und immer wieder. Das ist einer der Gründe, warum sie bei LobbyControl gelandet ist – und nicht am Lehrstuhl einer Universität oder im Büro eines Abgeordneten oder in der Public Affairs Abteilung eines DAX-Konzerns. „Natürlich habe ich eine politische Motivation“, sagt die Hochschwangere, „aber ich genieße es auch, in einem netten Team zu arbeiten, ohne große Hierarchien.“ Dafür nimmt sie in Kauf, dass LobbyControl wenig zahlen kann, denn der Verein finanziert sich hauptsächlich aus Spenden und Beiträgen von Fördermitgliedern. 240.000 Euro Einnahmen waren das 2011, das musste reichen für sieben Angestellte, sechs freiberufliche Stadtführer, zwei Büros, für Flyer, Plakate und Broschüren. „Unser Gehalt ist ziemlich niedrig“, sagt Deckwirth, „aber mir reicht’s, ich komm damit aus.“ Abgesehen davon, ergänzt sie dann noch lachend, könne sie sich mit ihrer Attac-Vorschichte sowieso nie mehr bei einem Unternehmen bewerben.

Das ist nicht gesagt. Wir sind immer noch Unter den Linden, jetzt vor dem Klingelschild von E.ON. Die Geschichte, die Christoph uns hier erzählt, ist exemplarisch für das so genannte Drehtür-Prinzip. In Deutschland ist es nicht verboten, im Laufe des Berufslebens mehrmals die Seiten zu wechseln, sogar für Bundesminister gibt es keine vorgeschriebene Karenzzeit, wenn sie nach ihrem politischen Amt direkt in die freie Wirtschaft wechseln wollen. Umgekehrt schafft es auch mal ein Atomlobbyist aus der Energiebranche zurück in die Politik; Gerald Hennenhöfer, Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, ist dafür ein eindrückliches Beispiel. Seine dynamische Arbeitsbiografie hat LobbyControl im hauseigenen Lexikon www.lobbypedia.de zusammengestellt.

Wir dagegen werden heute durch keine Drehtür huschen. Statt dessen werden wir uns weiter mühsam durch die Touristenströme schlängeln, wir werden im Innenhof des ZDF über interviewgeschulte Wirtschaftslobbyisten sprechen, wir werden lernen, dass es in der Mediengesellschaft nicht nur darauf ankommt, wie gut die Argumente sind, sondern auch, wie charmant und souverän man sie über den Äther bringt. „Nichts gegen professionelle Medientrainings“, sagt Christioph, „aber man muss einfach immer das Ungleichgewicht der Mittel im Hinterkopf haben.“ Die einen können flächendeckenden Hochglanz-Kampagnen fahren und dabei gleich passende Studien und eloquente  Experten mitliefern. Die anderen arbeiten vielleicht ohne Budget und ehrenamtlich. „Wenn Sie das nächste Mal den aufgeregten, stotternden Sprecher einer Bürgerinitiative bei Maybrit Illner sehen, denken Sie mal daran.“

Lobbyismus ist ein weites Feld, erklärt Christina Deckwirth, und weder automatisch verwerflich noch grundsätzlich undemokratisch. „Natürlich versuchen unterschiedliche Gruppen auf unterschiedlichste Weise politisch Einfluss zu nehmen, wir ja auch.“ Dagegen sei nichts einzuwenden. Wogegen LobbyControl dann überhaupt kämpfe? „Es geht uns um das Machtungleichgewicht. Und um unethische Praktiken.“ Wenn  Auftraggeber verschleiert oder verheimlicht würden. Wenn manipulative Öffentlichkeitsarbeit mit im Spiel ist. Wenn Geld fließt oder wenn es zu enge persönliche Verflechtungen gibt. „Wir wollen da mehr Transparenz, mehr Regeln, mehr Regulierungen.“ Viele Wähler wollen das offenbar auch: Nach jedem Lobbyismus-Skandal steigt bei LobbyControl das Spendenaufkommen.

Noch immer ist unsere Gruppe unterwegs, knapp zwei Stunden dauert die Tour schon. Wir sind mittlerweile am Pariser Platz angekommen, am Haupteingang der Akademie der Künste. Auf unseren Gesichtern tummeln sich die Fragezeichen: Was, sogar hier lauern Lobbyisten, mitten im Herzen von Kunst und Kultur? Tapfer marschieren wir im Gänsemarsch hinter unserem Stadtführer her. Der durchquert die Vorhalle, lässt die Mario-Adorf-Ausstellung rechts liegen, weiter geht es durch das Museumscafé, dann wieder eine Glastür. Schließlich stehen wir fast am Hinterausgang des Akademiegebäudes, in einer leeren Vorhalle, vor einem unscheinbaren Aufzug. „China Club Berlin“ steht auf einem kleinen Schild. Bei einer der letzten Führung, sagt Christoph, sei Karl-Theodor zu Guttenberg aus der Fahrstuhltür getreten, sonst habe er hier noch nie jemanden gesehen. „Und natürlich war ich auch noch nie da drin.“

Es gibt exklusive Orte. Und es gibt Menschen oder Unternehmen, die dazu Zutritt haben. Für sie, so die Botschaft von LobbyControl, ist es unter Umständen leichter, sich Gehör zu verschaffen. Weil sie einen Politiker auch mal ins China Club Separée einladen können. „Nicht alle Volksvertreter sind dafür gleichermaßen empfänglich“, erklärt unser Führer, im politischen Berlin kursiere unter Lobbyisten angeblich sogar eine Liste, wer sich gerne hofieren lässt und bei wem man auf Granit beißt. „Auch Lobbyisten müssen schließlich mit ihren Kapazitäten haushalten.“

Dann stehen wir auch schon wieder draußen auf dem Pariser Platz, die Akademie der Künste im Rücken. „Da oben“, sagt Christoph und deutet auf das Gebäude gegenüber vom Hotel Adlon, „sind übrigens die Räumlichkeiten von Eventmanager Manfred Schmidt.“ Von dem hätten wir doch sicher auch schon gehört. Ja, nickt die Gruppe, haben wir.

Ob das nicht auf Dauer zynisch mache, diese ständige Beschäftigung mit den kleinen und großen Käuflichkeiten des deutschen Politbetriebs, will ich von Christina Deckwirth zum Abschied wissen. „Klar“, sagt sie, „das Wühlen im Schlamm kann auch frustrierend sein.“ Aber im Großen und Ganzen überwiegt die Freude an den Erfolgen. „Wir haben ja auch schon Skandale aufgedeckt und Debatten ins Rollen gebracht.“ Oft übrigens dank eifriger Whistlerblower aus der Bevölkerung, die wertvolle Hinweise gaben. In Brandenburg, erzählt sie dann noch, befasst sich gerade der Landtag mit dem Thema Lobbyregulierung, in einem Jahr wird es einen ersten Gesetzesentwurf geben.

Auch Christoph ist jetzt fertig, über zwei Stunden hat er gezeigt, geredet, erklärt, nun stehen wir seitlich vom Reichstag und schauen still auf die symbolträchtige gläserne Kuppel. Nächsten Monat wird er wieder hier herkommen, mit der nächsten Gruppe. Er wird wieder über Transparenz sprechen und wie eine Demokratie sie noch besser in ihren Grundfesten verankern kann. „Ich mach‘ das aus Überzeugung“, sagt er, „finanziell lohnen tut sich das eher nicht.“ Unglücklich sieht er bei dem Satz nicht aus. Genauso wenig wie Christina Deckwirth in ihrem winzigen Plattenbaubüro.

 

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