VERTRAUEN IST GUT, RANKING IST BESSER

Um Kunden oder Suchmaschinen zu überlisten, wird im Internet alles manipuliert, was sich manipulieren lässt – Fans, Empfehlungen, Links  und Blogeinträge. TAGESSPIEGEL und ZEIT ONLINE.  18. Februar 2012.

Es war ein lukrativer Nebenjob. Christian Weingärtner*, freiberuflicher PR-Berater, setzte sich jeden Tag eine Stunde lang an seinen Laptop und bewertete Produkte aus einem Bio-Onlineshop. „Super Kirschkernkissen, gar nicht hart!“ Scheinbar wahllos hinterließ er Bookmarks und Kommentare, mal bei den Tees, mal bei den Müslis. Er schrieb wild drauflos, machte Tippfehler, war manchmal euphorisch, dann wieder eher neutral. Genau wie der Auftraggeber es sich gewünscht hatte. „Und zwischendurch sollte ich unbedingt auch auf andere Webseiten gehen und dort Spuren hinterlassen, damit mein Profil möglichst echt wirkt.“

Knapp 80 Prozent der deutschen Internetnutzer informieren sich laut Branchenverband BITKOM vor einem Kauf im Internet. Das sind Millionen Kunden, die Google befragen, nach Bewertungen schauen und Preisvergleichen vertrauen. Um ihre knappe Aufmerksamkeit wird mit allen erdenklichen Mitteln gebuhlt. Das fängt bei Gefälligkeitsrezensionen bei Amazon an und hört bei der geschickten Manipulation von Suchmaschinenergebnissen auf.

Offiziell sagt das natürlich kaum jemand. Social Media Agenturen sind in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen, ihr Tätigkeitsfeld beschreiben sie am liebsten blumig: Da ist von „buzz“ und „seed“ und „viral“ die Rede, von „Word-to-Mouse“ oder „Talk of the Web“ Kampagnen.  Gemeint ist letztlich immer das Gleiche: Der Konsument soll sich im Netz über Produkte oder Dienstleistungen unterhalten, und zwar möglichst ausgiebig, authentisch und wohlwollend. Das wiederum katapultiert das entsprechende Produkt weit nach vorne in den Rankings. Beides zusammen, ehrliche Empfehlung und gute Sichtbarkeit, ergeben das optimale, „nachhaltige“ Verkaufsumfeld.

„Das ist die Oberliga“, sagt Sebastian Jabbusch, „da wollen alle hin.“ Der 28-jährige ist Politikwissenschaftler und Piratenparteimitglied, beruflich aber hat er in den letzten Jahren bei einer großen PR-Agentur Social Media Konzepte entwickelt. „Die Unternehmen wollen bei den Usern im Gespräch sein“, sagt er, „aber natürlich will niemand Kritik.“ Die Dialog- und Partizipationsangebote, die Jabbusch sich ausdenken sollte, durften möglichst wenig Spielraum für Persiflage oder Spott bieten, „am besten sollte alles möglichst adrett und hygienisch zugehen.“

Das Problem: Nur wenige Konsumenten haben Lust auf die Rolle des Claqueurs. Da kann die Kaffeemaschine noch so fröhlich vor sich hintwittern oder der Turnschuh sich bei Facebook präsentieren, die Kundschaft springt trotzdem nicht darauf an. „Manche helfen dann nach“, erklärt Jabbusch, das sei kinderleicht: „Bei indischen Firmen kann man sich für hundert Euro Tausende Facebook-Fans oder YouTube-Kommentare in fast jeder Sprache kaufen.“ Dabei sind es nicht unbedingt die Unternehmen selbst, die an den falschen Fans Interesse haben. „Die Auftraggeber wollen ja eigentlich echte Kontakte.“ Trotzdem manipulieren manche Agenturen Fans und  Zugriffszahlen, schon um ihre eigene Leistung besser aussehen zu lassen.

Tobias Spoerer, Geschäftsführer der Hamburger Agentur elbkind, hält von solchen Tricksereien gar nichts. „Wir überlegen, was wirklich für den Endkunden relevant ist, womit sich echte Gespräche auslösen lassen.“ Alles andere bringe wenig und verpuffe schnell. Außerdem kann ein Täuschungsversuch zum massiven Imageproblem für ein Unternehmen werden. „Lügen haben kurze Beine, vor allem im Internet.“

Aber abgesehen von der öffentlichen Häme, wenn gefälschte Einträge oder Scheinprofile bekannt werden: Wer beim vorsätzlichen Betrügen erwischt wird, dem droht schlimmstenfalls eine Degradierung von Google, also eine Verbannung auf die hinteren Seiten der Ergebnislisten – oder sogar die komplette Löschung aus dem Index. „Davor fürchten sich alle“, sagt Sebastian Jabbusch. Damit es nicht soweit kommt, haben die Akteure in den letzten Jahren viel Phantasie entwickelt. „Es ist ein permanentes Katz-und-Maus-Spiel – immer wenn Google seinen Algorithmus anpasst, um Manipulationen zu erschweren, ziehen die Agenturen mit neuen Strategien nach.“

Eine Möglichkeit, dem eigenen Produkt zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen, ist zum Beispiel die gezielte Verlinkung. „Gewiss kann auch in dem ein oder anderen Fall der Einsatz einer Advertorial-Kampagne sinnvoll sein“, sagt elbkind-Chef Spoerer. Die Social Media Agenturen kooperieren dann mit Plattformen, die bezahlte Inhalte im Netz verbreiten. Bei der Essener Firma RankSider kann man wählen zwischen gekauften Twitter-Nachrichten, Facebook-Fans oder Blogbeiträgen. Eigentlich müssten diese Nachrichten als Werbung gekennzeichnet werden, RankSider überprüft das aber nicht. „Wir vermitteln nur die Kontakte“, erklärt Geschäftsführer Wahid Rahim. Gegen Googles Richtlinien verstoße sein Dienstleistung nicht, meint er: „Google kann es auch gar nicht wissen, dass ein Beitrag über RankSider vermittelt wurde, wenn der Beitrag nicht als solches gekennzeichnet ist.“

Auch bei der Stuttgarter Agentur Teliad ist man spezialisiert auf „Linkbuilding und Suchmaschinenoptimierung“. Blogger können sich hier für die unterschiedlichsten Link-Typen und -Platzierungen honorieren lassen. „Der Backlinkhandel hat sich in der Praxis durchgesetzt“, sagt Teliad-Sprecher Jörn Treskow. „Zu unseren Kunden zählen daher viele bekannte  Unternehmen.“ Teliad vermittelt außerdem auch so genannte „Presell Pages“, also Unterseiten, die komplett aus Werbeinhalten bestehen. Der Vorteil für die Kunden: Googles Algorithmus bewertet eine eigenständige Unterseite höher als einen einzelnen redaktionellen Eintrag.

Der dezente Umweg über solche Vermittlungsagenturen sei bequem für alle, meint PR-Berater Weingärtner. „Die Unternehmen müssen nicht das Risiko eingehen, selbst aktiv an Blogger heranzutreten – und sich möglicherweise eine peinliche Abfuhr zu holen.“ Und die Blogger entscheiden selbst, an welchen Kampagnen sie sich beteiligen. Und nicht nur Textinhalte werden geschickt platziert, erzählt der 27-jährige Berliner. „Ich kenne auch einige Fotoblogs, die es sich gut bezahlen lassen, dass bestimmte Modemarken immer mal wieder als Motiv bei ihnen auftauchen.“

Werbung, sagt Sebastian Jabbusch, „das war früher eine Anzeige oder ein Werbespot mit einer eindeutigen Botschaft. Der konnte ich zustimmen oder sie ablehnen.“ Durch das Internet sei die Sache dialogischer geworden, aber auch undurchsichtiger. Ist das Kirschkernkissen wirklich so hochwertig wie der Käufer vor mir behauptet? Und der Urlaubsanbieter, der bei Google an oberster Stelle auftaucht, wirklich der beste und beliebteste? Oder hat er einfach nur die windigste Suchmaschinenoptimierungsstrategie? Vermutlich eher letzteres, meint Jabbusch. „Vor allem in der Reisebranche, da herrscht im Netz richtig Krieg.“ Schuld daran ist nicht zuletzt der Nutzer: Statistisch gesehen vertraut er am liebsten dem Ranking – und klickt unbeirrbar stets auf die obersten drei Treffer.

(*Name geändert)

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