DER AUTOR IST TOT, ES LEBE SEIN FACEBOOK-PROFIL

Auf der Jagd nach wertvollen Leserkontakten übertrumpfen sich Buchverlagen zurzeit gegenseitig mit ihren Social Media Aktivitäten. ZEIT ONLINE. 06. Februar 2012.

Hermann Hesse ist jetzt auch bei Facebook. Sein Verlag hat die Sache für ihn eingefädelt. Ab März werden 30 Tage lang auf der Seite „Hesse antwortet“ Briefe gepostet, die Hesse einst an seine zeitgenössischen Leser geschrieben hatte. Facebook-Nutzer sollen laut Suhrkamp Verlag „per like oder Kommentar“ auf Hesses Post reagieren. Am Ende der Werbeaktion steht wiederum ein Buch: „Die beliebtesten Briefe, ergänzt durch Bilder und Kommentare der Facebook-Fans“ will Suhrkamp in einem Buch herausgeben.

Es ist auffällig, wie stark die Publikumsverlage derzeit ums netzaffine junge Publikum werben. Da wird getwittert, da werden in den einschlägigen Sozialen Netzwerken Verlosungen ausgerufen oder bei YouTube Buchtrailer lanciert. Selbst ein Google+ Profil unterhält mittlerweile von Aufbau über Diogenes bis Reclam fast jeder in der Branche. Die Inhalte variieren nur leicht: Es geht um Veranstaltungen und Neuerscheinungen, gelegentlich darf das interessierte Publikum auch mal bei einer Covergestaltung mitreden.

Trotz aller Interaktionsangebote sind die Reichweiten der Kanäle überschaubar – wenige hundert bis ein paar Tausend Follower, mehr sind es selten. Wenn man davon noch die Verlagsmitarbeiter und Autoren abzieht, die die eigenen Angebote vermutlich brav mitklicken, bleiben manchmal nur ein paar Dutzend interessierter Nutzer übrig.

In den Marketingabteilungen der Verlage will man den Vorwurf des blinden Web 2.0 Aktionismus trotzdem nicht auf sich sitzen lassen. „Wir probieren viel aus“, sagt Caroline Lauth vom S. Fischer Verlag, „aber wir schauen auch sehr genau hin, was etwas bringt.“ Erfolgreich eingestiegen ist der Verlag 2009 mit einer Plattform zur Vampir-Bestsellerreihe House of Night<http://www.houseofnight.de/>. Die Community hat mittlerweile 40.000 aktive Mitglieder, die sich in Foren austauschen und gleichzeitig mit allerlei Gewinnspielchen und „geheimem“ Vampirwissen bei der Stange gehalten werden. „Im Bereich Unterhaltungsliteratur“, sagt Lauth, „funktionieren interaktive Social Media Angebote einwandfrei.“ In der Sparte, in der Wiedererkennbarkeit kein Makel und erfüllte Lesererwartungen Teil des Erfolgsrezepts sind, finden die Leser bestenfalls vom Buch ins Netz und vom Netz ins nächste Buch.

Noch günstiger auf die langfristige Kundenbindung wirkt es sich aus, wenn nicht nur das Buch oder der Verlag, sondern auch der Autor selbst sichtbar und ansprechbar ist. In vielen Häusern wird deshalb mittlerweile mit sanftem Druck nachgeholfen, um den Autoren zu einer eigenen Website und zum persönlichen Facebook-Profil zu verhelfen. „Wir zwingen niemanden“, sagt Marco Verhülsdonk von Kiepenheuer & Witsch, „aber wir besprechen das Thema mit jedem Autor.“ Beim Fischer Verlag klingt das ähnlich: „Wir unterstützen unsere Autoren bei ihren Onlineauftritten, übernehmen auch mal die Urlaubsvertretung bei Facebook oder Twitter“, sagt Lauth. Auch bei Hanser will man nicht von Zwang sprechen, „aber wir versuchen schon ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen“, sagt die Community-Managerin Frauke Vollmer. Gerade erst hat der Hanser Verlag seine Autoren zu einer Social Media Schulung eingeladen.

Nicht alle sind willig, ihre neuen repräsentativen Pflichten im Netz auch wahrzunehmen. Einige Autoren delegieren das persönliche Onlinemarketing lieber komplett an ihre Verlage, die Seite von Uwe Timm<http://www.uwe-timm.com> stammt von dtv, die von Daniel Glattauer <http://www.daniel-glattauer.de/> betreibt der Paul Zsolnay Verlag. Andere dagegen interagieren freiwillig und aus voller Überzeugung. Sibylle Berg ist mit ihren schnoddrigen Einwürfen und Repliken ein Star bei Twitter<http://twitter.com/sibylleberg>: „lasst uns versprechen,uns zwischen die lichter zu schiessen,sollten wir in versuchung geraten, unsere autobios zu schreiben.“ Der Bestseller-Autor Tommy Jaud hat sich für einen Kompromiss entschieden: Auf seiner Facebook-Seite posten abwechselnd er und sein Verlag. Die Fans stört das nicht, Hauptsache, das nächste Buch kommt bald. „Hau rein Alter das de fertig wirst“, schreibt ein Leser. 852 andere wünschen sich das auch.

Das Niveau mag variieren, aber der Trend ist unübersehbar: „Gespräche über Bücher“, sagt die Hanser-Mitarbeiterin Frauke Vollmer, „verlagern sich ins Internet.“ Die Verlage reagieren darauf, indem sie einerseits versuchen, die Diskussionen in den Kommentarspalten im Auge zu behalten, bestenfalls um für die zukünftige Programmgestaltung entsprechende Rückschlüsse ziehen zu können. Andererseits werden die Leserdiskussionen so gezielt wie möglich selbst angestoßen. Vor allem die Kooperationen mit Leseplattformen spielen dabei eine entscheidende Rolle. Auf Seiten wie vorablesen.de oder lovelybooks.de, auf denen sich Tausende zum Diskutieren, Bewerten und Empfehlen treffen, veranstalten fast alle großen Verlage regelmäßig sogenannte Leserunden, um ihre Spitzentitel zu bewerben.

Den Nutzern wird dabei das Gefühl von Exklusivität vermittelt: Die Hobby-Kritiker müssen sich vorab für das Buch bewerben, erst dann bekommen sie ein kostenloses Rezensionsexemplar. „Natürlich geht es uns um virale Effekte, um Empfehlungsmarketing“, sagt der KiWi-Mitarbeiter Marco Verhülsdonk. Die Leser sollen ihre Meinung zum Buch anschließend an möglichst vielen Stellen im Internet hinterlassen: in den Lese-Communities, auf dem eigenen Blog, am besten auch noch bei Amazon und anderen Verkaufsplattformen. „Das Netz allein macht keine Bestseller“, sagt Verhülsdonk, „aber eine sowohl punktgenaue wie breite Präsenz kann auf jeden Fall verstärkend wirken.“

Leicht gesagt – nur wie verträgt sich die gefällige Breitenpräsenz mit sperrigen Inhalten? Vor allem für literarisch ambitioniertere Autoren ist das Marketing im Netz ungleich schwieriger als für die Kollegen aus dem Unterhaltungssegment. Die Verlage haben auch darauf eine Antwort gefunden: die Kurzlesungen auf Zehnseiten.de bieten ein bisschen Social-Media-Gefühl, aber mit deutlich mehr Sicherheitsabstand. In den Schwarzweißfilmen sitzt ein Autor am Tisch und liest aus seinem Buch, mehr passiert nicht. „Das ist sehr beliebt bei den Autoren“, sagt Frauke Vollmer. „Das reduzierte, ästhetisch ansprechende Format ermöglicht es ihnen authentisch zu wirken.“ Der einzige Haken an der Sache: Authentizität ist das eine, Aufmerksamkeitsspanne das andere. Für YouTube oder auch ZEIT ONLINE werden die 15-Minuten-Formate von ZehnSeiten.de auf drei Minuten zusammengekürzt.

Der Hanser-Verleger Michael Krüger schert sich dagegen wenig um solche Zugeständnisse an die digitalen Sehgewohnheiten. Seine monatlichen YouTube-Ansprachen, in denen es um den Literaturbetrieb im Allgemeinen und bekannte Hanser-Autoren im Besonderen geht, dauern epische sieben bis neun Minuten. Immerhin 300 bis 2.000 Zuschauer haben sich die bisherigen Folgen trotzdem angesehen.

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