DIE METHODE AMAZON

Mit aller Macht will sich Amazon als Verlag positionieren – auch in Deutschland, auch mit gedruckten Büchern. Erste Vorstöße gibt es schon. ZEIT ONLINE. 21. Dezember 2011.

Dass Pieke Biermann Anfragen aus den USA bekommt, ist nicht ungewöhnlich. Die 61-jährige Schriftstellerin ist auch eine gefragte Übersetzerin, berufliche Kontakte ins Ausland sind da selbstverständlich. Doch als im Oktober ihr Telefon klingelt, ist es kein Verlag, der anruft – sondern eine Mitarbeiterin von Amazon aus Seattle. Ob sie interessiert sei, amerikanische Bücher, an denen Amazon die Rechte hält, ins Deutsche zu übersetzen. Amazon plane nämlich, diese in Deutschland auf den Buchmarkt zu bringen, und zwar sowohl als E-Book als auch in gedruckter Form, als „physical book“, wie man es in Seattle nennt.

Dass Amazon es ernst meint mit seinen Vorstößen ins Verlagsgeschäft, ist seit einigen Monaten offensichtlich. In den USA wurde dafür ein Team unter der Leitung des erfahrenen Verlegers Larry Kirshbaum zusammengestellt. Neben dem digitalen Self Publishing Angebot, das mittlerweile allen Hobbyschreibern offensteht, geht es nun vor allem darum, erfolgreiche Autoren von großen Verlagen abzuwerben – auch mittels großzügiger Vorschüsse. Mit Bestsellerautor Timothy Ferriss („Die 4-Stunden-Woche“) hat man einen ersten Coup gelandet, Anfang 2012 erscheint sein nächstes Buch in den USA, Verlag: Amazon.

Doch die verlegerischen Ambitionen des Versandriesen beschränken sich nicht auf den englischsprachigen Markt. Mittlerweile hat der Konzern auch lukrative ausländische Print-Buchmärkte ins Blickfeld genommen, darunter offenbar vor allem den deutschsprachigen. Pieke Biermann ist nicht die einzige Übersetzerin, die in den letzten Wochen angesprochen wurde. Etliche andere Kollegen haben ebenfalls Angebote bekommen: „Das sind nicht nur erste Testballons, das sieht eher nach einer größeren Offensive aus.“ Bislang allerdings sind die Konditionen, die Amazon den Übersetzern anbietet, aus ihrer Sicht inakzeptabel: Verträge sollen nach US-amerikanischem Recht abgeschlossen werden, die Zuständigkeiten für das Lektorat sind unklar und – die Auftragsvergabe erfolgt per Bietverfahren. „Das heißt im Klartext: Wir Übersetzer sollen uns gegenseitig unterbieten.“ Biermann hat vorerst dankend abgelehnt.

Ob sich Amazon von solchen Absagen beeindrucken lässt, ist unwahrscheinlich. Wie Brancheninsider berichten, werden bereits in viele Richtungen Gespräche geführt. Einige deutsche Literaturagenturen wurden bereits kontaktiert. Und es auch Headhunter sind unterwegs, um für Amazon in Deutschland ein Verlegerteam zusammenzustellen.

Der Grund ist klar: Amazon – aktueller Quartalsumsatz rund 10 Milliarden Dollar – will auch auf dem  Buchmarkt weiter expandieren. Dass dafür mittlerweile fast jedes Mittel recht ist, zeigt eine Werbeaktion, die letzte Woche in den USA Schlagzeilen machte: Mithilfe einer Amazon-App sollten Kunden bei ihren Weihnachtseinkäufen in Geschäfte die Barcodes der angebotenen Produkte einscannen. Wer dann statt beim lokalen Händler lieber bei Amazon bestellte, bekam am Aktionstag eine Gutschrift über 5 Dollar.

Beim Verkauf von Büchern sind in Deutschland keine Rabattschlachten erlaubt, ein Buch muss bei jedem Anbieter zum gleichen Preis erhältlich sein. Das Feilschen findet deshalb hinter den Kulissen statt. Den Großabnehmern, zu denen neben Amazon nur noch Hugendubel und Thalia gehören, werden von Seiten der Verlage notgedrungen hohe Einkaufsrabatte gewährt. Eigentlich gelten 50 Prozent Rabatt dabei als oberste Schallgrenze. Die Marktführer versuchen trotzdem Wege zu finden, den Preis weiter zu drücken. Bei kleinen Verlagen, die nicht von Zwischenhändlern vertreten werden, werden bei Amazon zum Beispiel weitere 5 Prozent Preisnachlass für „Lagerhaltung, zielgerichtete Vermarktung und Plattform“ fällig. Dazu kommt eine Jahresgrundgebühr und 2 Prozent Skonto. Am Ende summiert sich der Rabatt damit auf weit über 50 Prozent pro Buch.

Kleinstverlagen bricht diese Rechnung das Genick. „Wir können vom Restbetrag beim besten Willen unsere Ausgaben nicht decken“, sagt Christine Ott, die vor drei Jahren mit Kommilitonen den Würzburger Stellwerck Verlag gegründet hat. Die Stellwerck Bücher waren deshalb bei Amazon eine Weile gar nicht verfügbar. Mittlerweile sind sie über den Amazon Marketplace bei einem externen Anbieter erhältlich, allerdings mit entsprechend längeren Lieferfristen. „Optimal ist das nicht“, sagt Ott, „aber es geht nicht anders.“ Beim Online-Marktführer überhaupt nicht präsent zu sein, könne man sich erst recht nicht leisten.

Amazon dürften die Sorgen deutscher Nachwuchsverleger relativ kalt lassen. Die neue Strategie sieht ohnehin vor, diese mittelfristig aus der Wertschöpfungskette heraus zu drängen. „Die Einzigen, die für den verlegerischen Prozess noch nötig sind, sind der Autor und der Leser“, so zitierte die New York Times kürzlich Amazon-Verlagsmanager Russell Grandinetti. Gemeint ist: Warum Verlagsapparate mit ihren Lektoraten und Grafikern und Pressestellen und Druckereien durchfüttern, wenn die Gewinne doch genauso gut zwischen Autor und Amazon aufgeteilt werden könnten? Zum Kampfpreis von 99 Euro drückt Amazon zurzeit sein Kindle in den deutschen Markt: Das Lesegerät ist schließlich nichts anderes als eine exklusive Standleitung zum Leser, an der theoretisch irgendwann niemand außer Amazon mehr beteiligt sein muss.

„Besorgt sind wir nicht“, sagt Jörg Dörnemann, Geschäftsführer von epubli, einer Self Publishing Plattform, die zur Holtzbrinck Gruppe gehört. „Aber wir freuen uns natürlich, dass Amazon im Digitalbuchgeschäft zunehmend Konkurrenz bekommt.“ Noch sei der Wettlauf um den beliebtesten E-Book-Vertriebskanal in Deutschland nicht entschieden. 40 Prozent ihrer Umsätze machen die epubli-Autoren in Apples iBook-Store. Und auch Google hat mittlerweile einen Bookstore eingerichtet. Den externen Verlagen könnte damit mittelfristig eine neue, wichtige Aufgabe zuwachsen: Dafür zu sorgen, dass keiner der Platzhirsche einen Zaun um sein Sortiment errichtet. „Die Autoren haben kein Interesse an Knebelverträgen, sie wollen auf allen Plattformen präsent sein“, meint Dörnemann.

Vor allem aber wollen die meisten Autoren ihre Bücher immer noch gedruckt sehen. Noch wird das Geld in Deutschland mit Papier verdient, E-Books dümpeln bei einem Marktanteil von unter zwei Prozent. Amazon hat daraus zwei logische Schlussfolgerungen gezogen: künftig auch selbst drucken – und dann möglichst kostengünstig ausliefern. Von den fragwürdigen Praktikumsregelungen in Amazons deutschen Warenlagern war in den letzten Wochen vielfach die Rede, weniger bekannt ist, dass der Konzern seine ‚Picker‘ und ‚Packer‘, also die Mitarbeiter, die die Waren aus den Regalen fischen und verpacken, unter Tarif bezahlt. „Außerdem stehen die Leute enorm unter Leistungsdruck“, berichtet ver.di-Projektsekretär Heiner Reimann. Dabei hilft auch neuste digitale Technik: Die Handscanner der Picker lassen sich in Echtzeit überwachen. Im Lager im Leipzig wurde neulich ein Mitarbeiter abgemahnt, „wegen zweimaliger Inaktivität innerhalb von fünf Minuten.“ Das heißt nicht, dass der Mann in dieser Zeit gar nichts gescannt habe, erklärt Reimann. „Er hat nur nicht schnell genug gescannt.“

 

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