SUCHMASCHINE, SUCHMASCHINE AN DER WAND

Leute googeln ist zum Volkssport geworden. Aber wer googelt eigentlich wen, warum und vor allem – wie oft? DAS MAGAZIN. Januar 2012.

Kurz nach unserem Umzug traf ich im Flur zum ersten Mal die neue Nachbarin von oben. Sie wusste schon etliches: dass ich Kinder habe, für Zeitungen arbeite, mal alleinerziehend war. Wahrscheinlich wusste sie sogar noch mehr: Wer mein Freund ist (Klingelschild!) und was der beruflich so macht. Und dass ich sogar vor gefährlichen journalistischen Selbstversuchen nicht zurückschrecke, sogar schon mal aus der Ich-Perspektive über One-Night-Stands…

Die Nachbarin war immerhin höflich genug, mir die Details ihrer Nachforschungen zu verschweigen. Aber sie gab unumwunden zu, eine Überzeugungstäterin zu sein: „Ich hab schon das ganze Haus durchgegoogelt!“ Weil: „Man will schließlich wissen, mit wem man es zu tun hat.“

Ja, genau. Man will wissen, mit wem man es zu tun hat. Aber wer googelt denn jetzt eigentlich wen warum und wie oft?

Eher selten googelt… der vielzitierte Personalchef seine Bewerber

Jahrelang wurde uns das eingeredet: Achtung!, Internet!, Partyfotos!, Karrierefalle! Denk an den Personalchef, der dich eines Tages durchleuchten wird! Konnte man sich auch immer lebhaft vorstellen, wie dieser Personalchef tadelnd seinen gescheitelten Kopf schüttelt, wenn er mal wieder auf ein Urlaubsfotoalbum gestoßen war, im Vordergrund der Sangria-Eimer, im Hintergrund mehrere rotverbrannte mitteleuropäische Oberkörper, alle eine Spur zu babyspeckig. Ein falsches Bild und schon war es das mit den Aussichten auf ein gemütliches Schlips-und-Kragen-Dasein. Adé Dienstwagen und dreizehntes Monatsgehalt.

Das ist aller grober Unsinn. Etliche Umfragen unter Personalchefs haben mittlerweile bewiesen, dass vor und während  Bewerbungsverfahren grundsätzlich viel weniger gegoogelt wird, als man immer vermutet hatte. Die Hälfte der Personalchefs googelt laut Bitkom gar nicht. Trotzdem, das zeigt eine aktuelle Studie der Uni Erfurt, gibt es auch Gegenbeispiele: Zwei Personalchefs gaben zu, dass sie Bewerber wegen ihren Netzaktivitäten abgelehnt hatte. Einer davon hatte im Internet gebrauchte Unterwäsche verkauft.

Was lernen wir daraus? Die wenigsten Vorgesetzten haben ein Problem damit, wenn ihre Angestellten es krachen lassen. Wer tagsüber unermüdlich ackert, der soll sich am Wochenende ruhig alkoholisch rekonvaleszieren. Natürlich nur, solange er dabei keine Naziuniformen trägt oder mit Nutten Kokslinien legt oder so.

Was dagegen gar nicht gerne gesehen wird: politischer, ästhetischer oder verbaler Schmuddelkram. Also zum Beispiel nachts in irgendwelchen Kommentarspalten herum krakeelen. Apple hat neulich einen Angestellten gefeuert, weil der sich auf seiner Facebook-Seite kritisch über den eigenen Arbeitgeber und dessen Produkte geäußert hatte. Was der Mitarbeiter nicht wissen konnte: Solche Meinungen sind im Hause Apple leider verboten. Ein englisches Gericht hat die Kündigung gerade bestätigt.

Damit mir sowas nicht passiert, googel ich ständig… nach mir selbst

Man könnte meinen, nur Prominente, Politiker, Journalisten oder Führungskräfte wären chronisch besorgt darum, was über sie im Netz steht: Wie seh‘ ich aus, wie komm‘ ich rüber? Was könnten andere von mir denken, wenn sie mich googeln und dann – wie ja statistisch bewiesen – nur auf die ersten fünf Treffer achten?

Aber Netznarzissmus ist längst keine bedauernswerte Neurose einer kleinen Berlin-Mitte-Minderheit mehr. Im Gegenteil: Schon vor einiger Zeit meldete der IT-Branchenverband Bitkom, dass ein Drittel aller deutschen Internetnutzer sich regelmäßig selbst sucht. Dabei wurden einige interessante Details festgestellt: Männer googeln sich öfter als Frauen, Menschen unter Dreißig häufiger als Menschen über Vierzig, Selbstständige öfter als Angestellte.

Doch das Googlen ist nur der Anfang: Die Sorge ums Ich mündet meistens in einer sorgfältigen Pflege des Ichs. Im Netz nennt man das Online-Reputationsmanagement (kurz: ORM), es gibt dazu mittlerweile haufenweise Berater und Ratgeber. Sie alle empfehlen: gezieltes SEO. Das ist die Abkürzung für „Suchmaschinenoptimierung“ und meint, dass man sich zwecks ORM am besten so fett wie möglich machen soll. Also ununterbrochen seinen Namen an den richtigen Stellen in den richtigen Kontexten fallen lassen. Und Profile anlegen, immer schön überall Klarnamen-Profile anlegen, egal ob bei Facebook, Xing, Twitter. Denn das spült die Suchmaschine am ehesten hoch.

Die Bitkom-Untersuchung ergab übrigens noch etwas: Jenseits der 60 hat kaum noch jemand Lust auf Ego-Googeln. Ob die Älteren die digitale Ich-Erforschung aus Unwissenheit oder aus Gelassenheit meiden, ist nicht bekannt. Hoffnung macht es trotzdem. Dass sie einem irgendwann einfach sch***egal ist, die flüchtige e-Reputation.

Bis es allerdings soweit ist, googeln wir uns auch gerne… gegenseitig

The first Eindruck ist the deepest: Deshalb googeln alle alle, mit denen sie irgendwie neu zu tun haben. Handwerker googeln ihre Kunden und Häuslebauer ihre Architekten und Geschäftsführer ihre Geschäftspartner und Journalisten ihre Interviewpartner und die Interviewpartner natürlich auch die Journalisten und alte Bürokollegen googeln neue Kollegen und neue Kollegen googeln die alten Kollegen und Eltern googeln ihre Schulleiter und Patienten ihre Urologen und Zahnarzthelferinnen vielleicht sogar ihre Zahnsteinhärtefälle.

Warum? Es geht um Wissen, Sicherheit, Schublade. Und um die soziale Selbstverortung, das so genannte social up– oder downgrading: Mit wem habe ich es zu tun, jung oder alt, hübsch oder hässlich, erfolgreich oder gescheitert, reich oder arm, wichtig oder unwichtig? Worauf muss ich mich einstellen, wie sehr muss ich mich anstrengen, was kann ich erwarten, worüber kann ich hinterher lästern?

Man könnte es dem Gegenüber natürlich auch selbst  überlassen, was es von sich preisgeben will. Man könnte sich überraschen lassen, nachfragen, zuhören… Oder man bildet sich schnell im Netz seine Meinung. Analog nachjustieren kann man sie notfalls immer noch.

Nachts und heimlich googeln wir dann allerdings… O Gott, ist das peinlich

Machen alle, aber drüber sprechen will keiner. Gemeint ist das Online-Stalking. Also die Suche nach Menschen, für die man irgendwie unerwiderte oder unpassende Gefühle hegt. Das kann der Ex-Freund sein oder der Thekenbekannte von neulich Nacht oder der platonische Büroflirt. Wenn ich nur ein wenig auf seinen Spuren wandeln dürfte, wenn ich nur wüsste, wo er ist, was er macht, wie’s ihm geht… Und wer zum Teufel ist die blonde Frau da im Hintergrund auf den Urlaubsfotos?

Früher hatte man für solche emotionalen Ausnahmesituationen tröstende Bonmots zur Hand: Aus den Augen aus dem Sinn. Wächst Gras drüber. Zeit heilt alle Wunden. Nur wie soll das funktionieren, wenn alles immer präsent und auffindbar bleibt, keine Verflossene, kein glühend Verehrter je endgültig von der Bildfläche verschwindet? Dank Suchmaschine und sozialen Netzwerken lassen sich Trennungsschmerzen, Eifersüchte, Versöhnungshoffnungen problemlos über Monate am Köcheln halten. Die Irrungen und Wirrungen der Liebe hat das Internet damit nicht einfacher gemacht.

Apropos: Immer mal wieder googeln wir auch… ehemalige Banknachbarn

Es sieht aus wie schlichte Neugier, aber es lässt sich nicht leugnen, dass auch Spuren von später Genugtuung, heimlicher Häme oder zähneknirschender Anerkennung darin vorkommen:

Was macht eigentlich der Matthias, in den wir damals in der Oberstufe alle verknallt waren (und der ausgerechnet mich verschmäht hat)? Dick und kahl geworden? Hihi. Und Susanne, die im Schulchor immer die Soli gesungen hat? Tja, Madame, für Musicalstar hat es dann wohl doch nicht gereicht. Aber aus dem kiffenden Andreas soll ein gutaussehender Chefarzt geworden sein? Und ausgerechnet die doofe Bettina hat eine erfolgreiche Filmproduktionsfirma gegründet? Ggrr.

Leugnen ist zwecklos: Bei niemandem bereitet der Blick durchs digitale Schlüsselloch mehr Freude als bei ehemaligen Lebensabschnittsbekannten. Komisch nur, dass man manche überhaupt nicht finden kann. Haben die alle mit 19 geheiratet und den Nachnamen gewechselt? Haben sie sich umgebracht? Oder sind die Frauen unter ihnen einfach nur kollektiv Hausfrauen geworden, auf dem Land lebend, von Internet und Berufstätigkeit abgeschnitten? Rätselhaft.

Und wo wir schon bei den Unsuchbaren sind…

Gibt es eigentlich schon einen Fachbegriff für nicht-googlebar, sowas wie not googlizable? Es gibt jedenfalls hinreichend Menschen, auf die das Phänomen zutrifft. Das sind zum einen die eigenen Großeltern, oder generell Leute aus den Geburtsjahrgängen 1940 abwärts. Als das Internet kam, waren sie schon alt, deshalb findet man nichts über sie.

Über andere wiederum findet man zuviel – multiple, widersprüchliche Identitätsversionen sozusagen. Diese Menschen heißen dann Stefan Weber, Andrea Müller oder Stefanie Meier und es macht überhaupt keinen Spaß, sie zu googeln. Beruflich ist das für die Betroffenen vermutlich gelegentlich problematisch. Aber privat muss das doch herrlichste Narrenfreiheit bedeuten.

Vielleicht sollten sich die Smith und Schmidts dieser Welt geschlossen bei Apple bewerben.

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