ICH WAR MAL EINE WEBSITE

Wenn aus Blogs Bestseller werden. TAGESSPIEGEL. 02. Oktober 2011.

Reden wir über den aktuellen Buchmarkt. Nicht über den im feuilletonistischen Scheinwerferlicht, mit seinen dicken, gebundenen Wälzern, aufwändig gemacht, schön anzusehen, 19,95 Euro aufwärts. Sondern über den anderen Markt, über die  Taschenbücher, außen bunt, innen grobes Papier, fünf bis acht Euro. Mitnehm- und Verschenkware, böse könnte man auch sagen: Kategorie Klobuch. Diese kleinen Dinger halt, über die niemand viele Worte macht.

Das ist schade, denn eigentlich gibt es einiges zu erzählen. Zum Beispiel, dass manche dieser Titel für die Verlagsbranche das sind, was die Bildzeitung für den Springer Verlag: wahre Cashcows. Weil sie im Stillen Auflagen erreichen, über die sich sogar Charlotte Roche freuen würde. Beispiele gefällig? Die Flugzeug-Witzesammlung „Sorry, wir haben die Landebahn verfehlt“, die der Ullstein Verlag in Kooperation mit Spiegel Online veröffentlicht, hat sich 500.000 mal verkauft; der Nachfolger „Sorry, Ihr Hotel ist abgebrannt“ bereits 110.000 mal. In der gleichen Liga spielt die Todesanzeigensammlung „Aus die Maus“ von Matthias Nöllke und Christian Sprang, die schon 200.000 mal über den Ladentisch ging. Auf 150.000 verkaufte Exemplare haben es die Alltagsdialoge „Entschuldigung, sind Sie die Wurst?“ von Felix Anschütz und Co. gebracht. Und dann ist da natürlich noch „Du hast mich auf dem Balkon vergessen“, eine Ansammlung nächtlicher SMS-Unterhaltungen – das Buch hält sich seit Monaten auf den oberen Plätzen der Taschenbuch-Bestsellerliste, 190.000 mal hat es sich verkauft.

Was lernen wir daraus? Dass die Deutschen ein insgesamt selbstironisches Völkchen sind? Dass nichts über den brachialen Humor der Realität geht? Das sicher auch. Aber noch interessanter ist, dass es sich bei allen oben genannten Bestsellern ursprünglich um Webseiten bzw. Internetforen handelt. Portale, oft von irgendwelchen Hobbybloggern gegründet, die zu einem Ort des kollektiven Alltagsgedächtnisses wurden. Auf www.belauscht.de, www.SMSvonGesternNacht.de oder www.todesanzeigensammlung.de haben Hunderte ihre Anekdoten oder Textschnipsel eingespeist, Tausende andere haben sie kommentiert, bewertet, empfohlen und so weiter. Die Seiten waren schon lange erfolgreich, bevor die dazugehörigen Bücher es wurden.

Verlage und Agenturen haben daraus ihre Schlussfolgerungen gezogen. Weil das Netz offenbar ein hervorragender Seismograph für den Geschmack des breiten Publikums ist, wird es längst systematisch nach neuen Ideen oder Talenten durchkämmt. Der pointensichere Jan-Uwe Fitz, der bei Twitter unter dem Künstlernamen @vergraemer 34.000 Fans hat, kam auf diesem Weg zum Dumont Verlag; sein erster Roman heißt „Entschuldigen Sie meine Störung“. Ähnlich erging es auch Mehmet Akyazi: Auf dem Mitmach-Literaturportal www.Bookrix.de hatte der Abiturient aus Duisburg seine Texte veröffentlicht, sie begeisterten derart viele Leser, dass die Betreiber des Portals schließlich den Heyne Verlag ansprachen. „Getürkt. Mein krasses Leben als Doppelbürger“ ist vor wenigen Tagen erschienen.

Spätestens wenn auch diese Taschenbücher zu Verkaufsschlagern werden, wird man wohl einen Mythos der digitalen Gesellschaft endgültig zu Grabe tragen müssen: Dass sich die Gratiskultur im Netz nicht mit der Content-nur-für-Geld-Kultur der Buchbranche verträgt. Gerade am unteren Ende, bei den kleinen, humoristischen Formaten, ist es der zahlenden Kundschaft vollkommen egal, dass ähnliche Inhalte im Internet auch umsonst zu haben sind. Im Gegenteil, wer die Webseite liebt, kauft vermutlich erst recht das Buch. Und verschenkt es vielleicht sogar noch zwei-, drei, viermal. Das wiederum beschert den Webseiten dann noch mehr Fans, Klicks, Werbebanner, Einnahmen…

Alles in allem also ein Geschäftsmodell ohne Verlierer und mit vielversprechender Zukunft. Jedenfalls solange das Internet noch nicht so wasserdicht ist, dass man es leichtfertig auf dem Spülkasten liegen lassen kann.

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