SUCHE SONNENDURCHFLUTETE BADEWANNE AUF SÜDBALKON

Der Härtetest für jede Beziehung ist der Moment, in dem man zusammenzieht. DAS MAGAZIN. Oktober 2011.

Bislang war alles Friede, Freude, Heititei an der heimischen Beziehungsfront. Ein paar Balkonpflanzen hatte man schon gemeinsam gepflanzt, über Kinderzeugungen bereits laut nachgedacht. Fehlt eigentlich nur noch das sprichwörtliche Haus, das gezimmert werden muss. Nicht gleich ein Eigenheim, aber ach, wie wunderbar wäre ein gemütliches Vier-Zimmer-Nest, AltbauhellruhigDielenWohnkücheBalkonBadewanne, das übliche eben.

Zunächst ist das alles nur romantisches Hirngespinst auf der abendlichen Schmusecouch. Und willkommener Zeitvertreib während der öden Bürotage. Guten Morgen, Immobilienscout, da bin ich wieder, zeig mir deine schönsten Grundrisse. Nach Feierabend werden dann begeistert die Köpfe zusammengesteckt. Guck mal, die sieht toll aus. Und die erst. Hier, das Zimmer mit Erker! Da, die Flügeltür! Und all die großen diffusen Fragen des Lebens und der Liebe lösen sich für kurze Zeit in einer auf: Wo stellen wir was hin? Auch die Wochenenden sind neuerdings herrlich abwechslungsreich: Sie vergehen mit kurzen Besichtigungen und ausgiebigen Fazits. Und immer ist das innige Paar sich einig – im Naserümpfen.

Aber die Wochen, Monate, Quartale gehen ins Land und keine bezahlbare Traumwohnung erscheint am Horizont. Immer alles: schon weg, zu laut, doch nicht so frischrenoviert wie in der Beschreibung. Den Mann kümmert das augenscheinlich wenig, die Frau dagegen nimmt sowohl sein schwindendes Interesse als auch die kalte Schulter des Wohnungsmarktes als narzisstische Kränkung. Immer haben nur die Anderen Glück, nie wir. Neidzerfressen wandert ihr Blick über adrette Fassaden, hinein in grüne Hinterhofparadiese, hoch zu den prächtigen Loggien und noch höher zu den biergartengroßen Dachterrassen. Wer wohnt da und warum, wieso? Und wie haben die das geschafft, an so eine Wohnung zu kommen?

Am Boden machen sich düstere Visionen breit: Wir werden nie was finden. Dabei sind wir doch schon längst vom hohen Ross unserer Ansprüche herabgestiegen. Es muss ja nicht unbedingt Altbau sein. Es geht eventuell auch ohne Wanne. Und Hinterhof Erdgeschoss kann auch seine Vorteile haben. Gebt uns bundesdeutsches Nachkriegsmittelmaß, wir nehmen es klaglos.

Spaß macht das alles längst nicht mehr. Aus dem Immobilienauschecken ist lästige Dauerbeschäftigung geworden. Und weil der Mann beruflich gerade so schrecklich eingespannt ist, ist die ganze Sucherei irgendwie unmerklich in die Zuständigkeit der Frau übergegangen. (Ja, ja, Bascha Mika, ich hör dir trapsen, aber was soll man machen?) Erstbesichtigungen bewältigt der weibliche Teil des Paares mittlerweile mürrisch alleine; der Herr wird nur noch in Ausnahmefällen per Handy dazu gerufen. Dann rauscht er an, gestresst, findet natürlich alles doof und zugig und saumäßig verarbeitet sowieso. Und sie, die schon fast bereit war, sich der obszönen Maklercourtage und dem schlechtgeschnittenen Wohnkompromiss zu ergeben, grummelt leise: Hast ja recht. Und fängt zähneknirschend wieder von vorne an.

Kurz vor der endgültigen Resignation taucht dann tatsächlich eine Wohnung auf, die leer und frei ist und nur ein bisschen zu klein und dunkel. Euphorie sieht anders aus, aber okay. Muss man sich halt beim Lichtkonzept ein bisschen anstrengen. Ein paar geschmackvolle Neuanschaffungen tätigen. Auch, um von den aufkeimenden Differenzen um die Mitnahme oder Verschrottung von Erbstücken abzulenken. (Seit er angedeutet hat, die grottenhässlichen Deckenstrahler aus seiner Junggesellenwohnung wieder aufhängen zu wollen, zweifelt sie ernsthaft an seinem Verstand. Er wiederum lehnt es aus völlig unerfindlichen Gründen plötzlich kategorisch ab, auch nur einen Tag länger mit ihrer roten Plüschcouch unter einem Dach zu leben. Was hat er denn auf einmal dagegen?)

Die Wochenenden haben nun immerhin wieder Sinn und Zweck. Ab zu Obi. Aber trotz sorgfältig geführter Einkaufslisten fehlt auf dem Rückweg immer irgendwas. Badezimmerspiegel. Vorhangstangen. Kellerregal. Garderobenhaken. Fußabtreter. Und ein paar neue Pfannen wären eigentlich auch nicht schlecht. Also, doch hin, zum verdammten Ikea. Obwohl man beim Anblick der tausend anderen schweigenden Paare auf der Stelle umdrehen möchte.

Indes hat die Verwandtschaft beschlossen, dass der neue Beziehungsstatus »zusammenziehendes Pärchen mit nachhaltigen Zukunftsabsichten« geradezu nach klugen Konsumratschläge schreit. Tenor: Kauft euch jetzt bloß was Gescheites, nicht das Billigste. Später ärgert ihr euch, weil ihr am falschen Ende gespart habt.

Das sagt sich leicht, wenn das Herz frei, die Zeit endlos und das Konto voll ist. Wenn ein Paar am Rande der Privatinsolvenz und Beziehungstherapie sich dagegen »mal schnell« auf eine Einbauküche einigen soll, dann müssen leider alle hochwertigen Weisheiten in den Wind geschlagen werden. Nicht Liebe, sondern taktisches Geschick bei der gegenseitigen Manipulation ist gefragt: Ich will aber dies. Ich will aber das. Dann wird Ceranfeld gegen Dunstabzugshaube, Tiefkühlschrank gegen Massivholzplatte ausgespielt. Am Ende ist keiner zufrieden, schön sieht es auch nicht aus. Aber trotzdem kostet das Scheißding soviel wie zwei Sommerurlaube.

Bis zum tatsächlichen Umzug vergehen seitdem wortkarg die Wochen. Der Mann streicht nach Feierabend die neue Wohnung, die Frau verstaut die alte in Kartons. Pastellfarbtöne misslingen, Kistenböden reißen, und als der Tag der Tage endlich da ist, wird es auch nicht besser: Von den befreundeten fünf Helfern sagen vier spontan ab, die professionell gebuchten sind allesamt blinde, faule, lahme Tollpatsche ohne einen Funken kritischer Selbsteinsicht. Oma Ilses Küchenbüffet passt doch nicht durch das neue Treppenhaus und muss deshalb auf dem Bordstein komplett zerlegt, sprich: zersägt werden. Das Telefon ist trotz anders lautender Zusicherungen der Telekom nicht rechtzeitig ab- und umgemeldet worden. Die Küchenfirma hat Lieferprobleme. Im Bad fehlen Steckdosen, im Schlafzimmer ist die Wand schief. Hätte man noch Kraft und Atem, würde man sich am liebsten ununterbrochen gegenseitig beschuldigen: Warum musst du immer alles verschlampen, übersehen, schlecht verpacken und falsch ausmessen?

Am Ende sitzt das ehemals frisch verliebte Paar zwischen tristen Kistentürmen im Licht einer nackten Glühbirne. Ohne Internet, Telefon, Kabelanschluss. Müde, matt, pleite sowieso. Aber immerhin, bei einem Thema herrscht Einigkeit: Das war der definitiv letzte Umzug in diesem Leben. Jedenfalls für die nächsten fünf Jahre.

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