DIE RÜCKKEHR DER HEIMARBEIT

Der Warenhandel im Internet boomt – und lockt Legionen junger Selbstständiger ins Netz. Alle sind auf der Suche nach der perfekten Verkaufsnische. ZEIT ONLINE. 9. Juni 2011. 

Nie mehr schleppen, nie mehr Finger dreckig machen, nie mehr schwarzen Staub im Auto. So könnte man die Geschäftsidee von Roman Lehnert und Robert Spindler umreißen. Die beiden Bielefelder haben sich vor kurzem mit einem Grillkohle-Onlineshop selbstständig gemacht; Anfang April konnte die Firma kohleking.de stolz den ersten Kunden beliefern. Damit es bald noch mehr werden, schalten die jungen Unternehmer jetzt Anzeigen bei Google. Wer nach „Grillkohle“ sucht, stößt sofort auf ihre Website.

Allerdings – wer googelt schon nach Grillkohle? Die überraschende Antwort weiß Google-Mitarbeiter Klaas Flechsig: „Jeden Monat wird in Deutschland im Schnitt zweihunderttausendmal nach Begriffen rund ums Grillen gesucht.“ Und über zwanzigtausendmal das Wort „Holzkohle“ in die Suchmaschine eingetippt. Am öftesten übrigens in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.

Der deutsche Konsument guckt, vergleicht und kauft gerne online. Um 4,1 Prozent konnte der Internet- und Versandhandel 2010 laut Bundesverbands des Deutschen Versandhandels (bvh) im Vergleich zum Vorjahr zulegen. Allerdings sind die Gesamtumsätze immer noch überschaubar: Der deutsche Einzelhandel macht insgesamt nur knapp ein Zehntel seines Umsatzes mit Internet- und Versandverkäufen; rechnet man die Lebensmittelbranche noch hinein, dann sind es sogar bloß vier Prozent. Trotzdem zeigte sich die Branche Anfang 2011 hochzufrieden. „Die in 2010 erreichte Umsatzsteigerung sprengt alle unsere Erwartungen“, konstatierte bvh-Präsident Thomas Lipke, vor allem das Internet treibe die Zahlen in die Höhe. Und die Prognosen sind rosig. Für 2011 rechnet der Verband mit satten 15 Prozent Wachstum beim e-Commerce, vor allem soll – dank Smartphones – noch viel mehr unterwegs und nebenbei gekauft werden.

Und weil die Zahl der Kunden stetig zunimmt, schlagen auch immer mehr Verkäufer dauerhaft ihre Zelte im Internet auf. Bei Google, wo immer noch die meisten Einkäufe beginnen, spürt man das steigende Angebot deutlich. Das Anzeigengeschäft brummt, 2010 ist die Zahl der deutschen Google AdWords-Kunden um satte 18 Prozent gestiegen. Täglich blendet Google in Deutschland im Auftrag dieser Kunden mehrere Hundertmillionen Anzeigen in seine Suchergebnisse ein. Und da die Anzeigen zu bestimmten Suchbegriffen unter den Anzeigenkunden versteigert werden, wird Googles Geschäftsmodell umso lukrativer, je mehr Onlinehändler mitbieten. Wer zum Beispiel Strandkörbe annoncieren will, zahlt für den Klick eines potentiellen Käufers zurzeit zwischen  67 und 82 Cent. Bei dem beliebten Suchwort „Gebrauchtwagen“ ist der Preis pro Anzeigenklick schon deutlich höher, bei selten gegoogelten Begriffskombinationen wie „Waschtisch Holz“ sind es bislang nur ein paar Cent.

Für kleine Unternehmen wiederum heißt das: Digitale Aufmerksamkeit auf den eigenen Onlineshop oder die eigene Dienstleistung zu lenken, kann in der Nische immer noch billig sein, im Mainstream ist sie mittlerweile ziemlich teuer. Zum Teil sogar unbezahlbar, wenn man mit seinem Warenangebot in direkter Konkurrenz zu großen Labels steht – aber nicht über deren Werbebudget verfügt.

Viele Existenzgründer versuchen es daher gar nicht erst als Einzelkämpfer, sondern siedeln sich gleich dort an, wo bereits großer Publikumsandrang herrscht. eBay war dabei lange die erste Adresse für den klassischen Garagenversand, jetzt aber will das Unternehmen weg vom Flohmarkt-Image – und hin zum Amazon-Allround-Einkaufsfeeling. „Mein Ein für Alles“ heißt der neue Werbeslogan, den das Unternehmen vor einigen Tagen in Berlin vorgestellt hat, Premiumkooperationen mit großen Marken sollen vermehrt im Mittelpunkt stehen.

DaWanda.de fährt genau die entgegengesetzte Strategie. Der Marktplatz für „Unikate und Selbstgemachtes“ bietet jedem Kreativling und Bastelwütigem Unterschlupf – die Kundschaft wiederum schätzt genau dieses unübersichtliche und unkonventionelle Sortiment. Um 130 Prozent hat der Umsatz der Plattform 2010 im Vergleich zum Vorjahr zugelegt; insgesamt 1,5 Millionen Produkte bieten die 100.000 DaWanda-Verkäufer mittlerweile an – alles von Babyjäckchen bis Vintage-Ohrringen.

Seit zwei Jahren beobachtet man dabei in der Berliner Firmenzentrale ebenfalls einen deutlichen Trend zur  Existenzgründung, vor allem junge Frauen führen die hausinterne Statistik an. „Die Heimarbeit ist wieder auf dem Vormarsch“, sagt Claudia Helming, Geschäftsführerin und Gründerin von DaWanda. Sie meint das keineswegs abfällig. 45 Prozent der DaWanda-Mitglieder sind Mütter, 59 Prozent von ihnen sind selbst als Online-Verkäuferinnen aktiv. Viele nutzen das Portal während der Elternzeit, erst zum Zeitvertreib, dann für den Sprung zurück ins Berufsleben. „Es beginnt oft mit Produkten wie der selbstgemachten Krabbeldecke oder der Schnullerkette“, erklärt Helming. Daraus könne schnell ein florierendes Unternehmen werden: „10 Prozent der verkaufenden Mütter führen ihren Shop mittlerweile in Vollzeit und bestreiten damit ihr Einkommen.“

So wie die sechsfachen Mutter Katryn Konstantin aus dem mecklenburgischen Güstrow. Seit eineinhalb Jahren ist sie bei DaWanda als „fraujottpunkt“ angemeldet; knapp 3.000 bunte Babyaccessiores hat sie in dieser Zeit verkauft. Oder Christina Kröger aus Telgte im Münsterland: Die Röcke und Oberteile, die die 29-Jährige zuhause näht, sind seit Jahren Verkaufsschlager, mit über 42.000 verkauften Teilen gehört Krögers Shop „Linas Traumwerkstatt“ zu den absoluten Topsellern bei DaWanda. Warum es ausgerechnet bei diesen beiden geklappt hat, bei vielen anderen aber nicht? „Qualität und Service spielen sicher eine Rolle“, meint DaWanda-Pressesprecherin Ina Froehner. Abgesehen davon muss man natürlich auch irgendwie den breiten Publikumsgeschmack treffen.

Auf solche ästhetischen Zufälle wollen sich die die beiden jungen Grillkohlen-Händler aus Bielefeld nicht verlassen. „Wir verstehen uns als Entrepreneure“, sagt der 25-jährige Roman Lehnert selbstbewusst, „wir wollen neue Geschäftsmodelle modellieren.“ Die dann, so der Plan, reibungslos und rentabel ohne das Zutun der Geschäftsleitung funktionieren. Im Falle der Grillkohle sieht die Strategie so aus: Gute Qualität in günstigen Vorratspackungen, keine Zwischenhändler, automatisierter Versand über eine Spedition. „Die Kosten für die Google-Anzeigen haben wir von Anfang an rein gerechnet“, erklärt der Gründer, „und wir schreiben auch schon schwarze Zahlen.“ Zum Lebensinhalt soll der Grillkohlevertrieb trotzdem nicht werden. Im Gegenteil: Die nächste kuriose Onlineshop-Idee haben die beiden jungen Männer schon in der Schublade.

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