KATHEDRALE DES WISSENS

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia strebt nach Weltkulturerbe-Weihen. TAGESSPIEGEL. 3. Juni 2011.

So ein schöner Slogan – und nicht mal ein Scherz: Wikipedia will Weltkulturerbe werden. Gerade hat das Online-Lexikon zehnten Geburtstag gefeiert, dazu gab es viel anerkennendes Schulterklopfen und breites mediales Lob. „Und da haben wir überlegt, wie wir diesen Spirit über das ganze Jahr 2011 tragen können“, erklärt Pavel Richter, Geschäftsführer des deutschen Fördervereins Wikimedia e.V..

Zu Weißwein, Brezeln und Diskussion hatte Wikimedia am Mittwochabend ins Deutsche Technikmuseum eingeladen, auch T-Shirts und Postkarten zur Kampagne sind schon gedruckt. Der Vorschlag, sich mittelfristig um den Weltkulturerbe-Status zu bemühen, kam vor einigen Wochen in der deutschen Wikipedia-Community auf, mittlerweile findet man ihn auch in anderen Ländern super. Seit einer Woche können die Nutzer der fünftbeliebtesten Website der Welt jetzt eine Online-Petition zeichnen, mit der sie das Vorhaben unterstützen.

Bevor auf dem Berliner Podium dazu kleinlich das Für und Wider besprochen wird, sorgt der amerikanische Wikipedia-Gründer Jimmy Wales erstmal für gute Stimmung. Mit einem salbungsvollen „Image a World…“ beginnt seine YouTube-Ansprache, man hat ihn in einem schwarzen Pullover vor eine weiße Wand gestellt und ein bisschen Hall in seine Stimme gezaubert. „Make it happen“, bittet er, „Wikipedia für World Heritage.“ Und weitersagen nicht vergessen: „Put it on Twitter, put it on Facebook!”

Soviel Sendungsbewusstsein steckt an. Auch der deutsche Geschäftsführer Richter ist im Laufe des Abends um voluminöse Worthülsen nicht verlegen. Der Zweck der ganzen Diskussion wird schnell deutlich: Es geht um verbale Wertschätzung, um öffentliches Prestige, um positive Assoziationsketten. „Werke von außerordentlichem universellen Wert“, so steht es in der UNESCO-Übereinkunft. Dieses Kriterium, finden die Fürsprecher, erfüllt das Mitmach-Lexikon mit seinen Millionen Einträgen und Hunderttausenden ehrenamtlicher Mitarbeiter allemal. Auch weil es nach eigenem Selbstverständnis ein Ort ist, wo das „Wissen der Welt“ der Menschheit kostenlos zur Verfügung gestellt wird. „Eine universal großartige Website“, sagt Richter. Der Kölner Dom des Internet, sozusagen.

Wenn aus dem Plan allerdings wirklich mehr werden soll als eine schöne PR-Blüte, dann steht der Wikipedia noch einiges an Hausaufgaben bevor. Mehrjährige Auswahlverfahren, tausendseitige Gutachten und vor allem die Klärung der Frage: Was genau an der Online-Enzyklopädie ist denn überhaupt schützenswert und musealisierbar? Die Software? Der Inhalt? Das Veröffentlichen unter freier Lizenz? Der Vorgang des kollektiven Schreibens?

Letzterer ist zumindest bedroht. Noch immer kämpfen hinter den Kulissen erbittert die sogenannten Exklusionisten mit den Inklusionisten, der Graben zwischen den beiden Fraktionen ist tief, der Konflikt weiterhin ungelöst. Mehr Nischenthemen zulassen, sagen die einen, weiter auf strenge Relevanzkriterien pochen, die anderen. Der ewige Streit um Löschen oder Drinlassen hat viele Mitstreiter bereits vergrault, auch mit dem Nachwuchs hapert es. Eine kuschelige Weltkulturerbe-Debatte kommt da genau richtig. Ob sie auch intern als Friedenspfeife taugt, bleibt abzuwarten.

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