WER BIN ICH UND WENN JA, WIE WENIGE

Facebook und Google betreiben massiv ihre 1-Account-Politik. Aber wie identitätszentriert wollen die User im Netz sein? TAGESSPIEGEL und ZEIT ONLINE. 21. April 2011.

Bis vor kurzem waren die Wege durchs Internet mit permanenten Einlogg-Auslogg-Mühen verbunden. Rein ins Youtube-Konto, rüber zum Xing-Account, bei Web.de, Amazon oder eBay einchecken, für Kommentare auf Blogs anmelden. Schleichend ändert sich das gerade. Ein separates YouTube-Konto gibt es zum Beispiel mittlerweile nicht mehr, die Nutzer mussten es vor einigen Wochen zwangsweise mit ihren Google-Konten synchronisieren. Auch die Fotoalbendienst Picasa wurde bereits mit dem Google-Profil zwangsvermählt.

Der Trend zum Universal-Account – die Smartphones beschleunigen ihn derzeit, aber auch Facebook und Google befeuern ihn, wo sie können. Während Google-Nutzer alle hauseigenen Dienste von Email bis Dokumenteverwaltung über einen Account managen können und sollen, will sich Konkurrent Facebook am liebsten gleich zur einzig offiziellen Repräsentations- und Kommunikationsplattform seiner Mitglieder aufschwingen. Deutschlandweit sind das mittlerweile rund 16 Millionen Menschen, Karteileichen und eventuell gefakte Guttenberg-Fans allerdings mitgezählt.

Und Facebooks Zentralisierungsmodell boomt. Eines der wichtigsten Instrumente dabei ist das sogenannte „Facebook Connect“, mit dem sowohl die eigene Facebook-Identität als auch die dazugehörigen Freundschaften quasi überall im Netz präsent sind. Das Programm ist Bestandteil der Social Plug-Ins, also Funktionen, die Facebook kostenlos für externe Websites zur Verfügung stellt. Wer zum Beispiel auf seiner Website keine eigene Kommentarspalte hat, kann in Deutschland seit Anfang März das Comment-Plug-In von Facebook nutzen. Stern.de, MyVideo und mtv.de tun das bereits. Kommt ein Facebook-Mitglied auf diese Seiten, muss er sich nicht nochmal extra anmelden, sondern wird gleich erkannt. Kommentiert er oder klickt er den „Gefällt mir“ Daumen, kann das wiederum auf sein Facebook-Profil zurückgespiegelt werden. Und die Freunde erfahren es natürlich auch. Aus Marketingsicht eine Win-Win-Win-Situation für alle Beteiligten, sozusagen.

Die vordergründigen Vorteile dieser Angebote für den Nutzer liegen auf der Hand: Nie wieder muss man nach Passwörtern kramen, nie wieder mühsam Doppel- und Dreifachanmeldungen ausfüllen. Stattdessen: Einmal hin, für immer drin in der zentralen Ich-Identität. Dass die Global Player ein massives Interesse an solchen Profilzentrierungen haben, ist ebenso offensichtlich: Je mehr Daten, Traffic und Kommunikation in einem Account gebündelt werden, desto wertvoller und vermarktbarer ist es.

Was dabei allerdings auf der Strecke bleiben könnte, sind mehr als nur ein paar alte Nicknames. Von den Vorteilen der Dezentralisierung hatte die amerikanische Soziologin Sherry Turkle 1995 in ihrem vielrezipierten Buch „Leben im Netz. Identität in Zeiten des Internet“ geschwärmt. Das Netz mit seinen unzähligen kleinen Nischen erschien der Wissenschaftlerin wie eine große Spielwiese der Freiheit. Und wie die logische Fortsetzung postmoderner Theorien, „die ein multiples und dezentriertes Selbst postulieren“. Der Identitätsbegriff der Spätmoderne sei geprägt gewesen von „Vielfalt, Heterogenität, Flexibilität und Fragmentisierung“; nun gäbe es endlich das passende Medium zur Theorie. Das Internet, so Turkle, ermögliche dabei nicht nur „anonyme soziale Interaktionen“, sondern vor allem das Ausprobieren aufregender Rollenspiele.

Mit diesen Rollenspielen verband die Autorin große emanzipatorische Hoffnungen, womöglich würde sogar ein „neuer, vielfältigerer Persönlichkeitsbegriff“ entstehen. Weil sich das von analogen Konventionen eingeschränkte Subjekt im Netz in mehrere „virtuelle Personae“ aufspalten könne – und dabei noch haufenweise wilden Cybersex hätte. Und nebenbei sollten auch die Grenzen der Geschlechter hinweggefegt werden.

Es ist anders gekommen. Der Drang nach Maskerade, nach Second oder Third Lifes hielt sich in Grenzen. Stattdessen scheint aus dem spätmodernen Plural wieder ein digitaler Singular zu werden. Widersprüchliche Teilidentitäten, brüchige Erwerbsbiografien, inkompatible Interessen? Bei der Google Suche oder im Social Stream des Facebook-Profils fließt alles problemlos in eins. Da geht der Dozent nahtlos in den Familienvater über und der wiederum in den Hobbysegler und Gelegenheitsgärtner.

Für Benjamin Jörissen, Medienwissenschaftler an der Universität Magdeburg, ist die Entwicklung kein Zufall. „Das Netz ist so tief in unseren Alltag eingedrungen, dass wir logischerweise das Bedürfnis haben, dort mit unserer ‚alten‘ Person unterwegs zu sein.“ Dass viele Nutzer nicht mit sieben unterschiedlichen Avataren jonglieren, sondern eine personale Identität mit Klarnamen vorziehen, hat nach seiner Ansicht trotzdem nichts mit der Sehnsucht nach Authentizität zu tun. „Eher damit, dass die Trennung von Offline und Online nicht mehr existiert.“

Natürlich kann das in Einzelfällen zu sozialen Kollateralschäden führen. Wenn durch die Identitätszentrierung zufällig Lebensbereiche zusammengeführt werden, die der Nutzer lieber getrennt verhandelt hätte. „Der Großteil der User geht mit den Risiken der ‚Super-Identität‘ trotzdem eher affirmativ um“, meint Jörissen. An eine breite Gegenbewegung – weg von den Meganetzwerken, zurück in die anonymen Nickname-Nischen – glaubt der Wissenschaftler nicht. Zu verlockend sind einerseits die Vorteile der Klarnamen-Vernetzung – und andererseits die implizite gesellschaftliche Forderung, als Bürger oder Arbeitnehmer eine digitale Repräsentanz vorweisen zu können. „Das Spiel mitspielen“, nennt es Jörissen.

Und bevor man den Rausschmiss aus dem Spiel riskiert, arrangiert man sich notfalls sogar mit den rigiden Moralvorstellungen der amerikanischen Plattformbetreiber. So wie ein dänischer Künstler, dessen Facebook-Profil kürzlich wegen der Veröffentlichung von Gustave Courbets berühmtem Akt „Der Ursprung der Welt“ gesperrt wurde. Statt zu protestieren, entschuldigte sich der Nutzer. Und bekam prompt seinen Account zurück.

Für diese Mischung aus Selbst- und Fremddisziplinierung hat Michel Foucault vor zwanzig Jahren den Begriff der „Gouvernementalität“ geprägt, gemeint ist die Verknüpfung von Herrschaftstechniken mit „Technologien des Selbst“. Auf Facebook, meint Jörissen, passt Foucaults Modell wie die Faust aufs Auge: „Einerseits erlaubt das dortige Identitäts- und Netzwerkmanagement die Anhäufung von sozialem und symbolischem Kapital. Andererseits erfordert es eine gewisse vorauseilende Selbstregulierung.“ Der Nutzer muss stets abwägen, welche seiner weitverzweigten Netz-Aktivitäten sich problemlos in seine Mainstream-Identität integrieren lassen, und welche Aspekte des Ichs besser abgespalten werden.

Trotzdem hält Jörissen Googles und Facebooks Zentralisierungspolitik letztlich für Epiphänomene – mit möglicherweise sogar aufklärerischem Potenzial: „Diese Dienste machen uns unfreiwillig bewusst, dass wir in einer vernetzten Öffentlichkeit stehen.“ Und dass sich Datenspuren jederzeit zu Meta-Identitäten zusammenführen lassen – und zwar auch von Behörden oder Regimen, die hinter den Kulissen weitaus geräuschloser vorgehen können.

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