SAG DOCH AUCH MAL WAS

Viele Kommentarspalten im Netz sind fest in Männerhand. Künftige e-Partizipationsprojekte müssen diesen gendergap berücksichtigen. ZEIT ONLINE. 7. Februar 2011.

Frauen nutzen das Netz anders als Männer. Weniger, kürzer – und passiver. Nicht nur die Forschungsgruppe Wahlen bestätigt in ihren gerade veröffentlichten „Internet-Strukturdaten“ mal wieder diesen Gendergap: 80 Prozent der Männer in Deutschland sind online, aber nur 68 Prozent der Frauen. Außerdem nutzen Männer das Internet häufiger und länger. Die Autoren der ARD/ZDF-Onlinestudie hatten im Sommer 2010 noch detaillierter gefragt, auch nach der Lust zur Partizipation: 9 % aller männlichen Netznutzer finden es demnach „sehr interessant“ eigene Beiträge zu posten, bei den Frauen sind es nur 5 %.

Was die Statistiken bislang nicht beantworten, ist die Frage nach dem Warum. Äußern sich Frauen weniger, weil sie lieber in sozialen Netzwerken und weniger auf Newsportalen unterwegs sind? Oder sind ihre Netznutzungszeiten kürzer – eben weil sie sich nicht mit dem Verfassen von eigenen Beiträgen aufhalten? Wollen sie nicht, trauen sie sich nicht, wissen sie nicht, wie es geht?

Auch bei Wikipedia ist das weibliche Schweigen seit Jahren bekannt. Catrin Schoneville, Pressesprecherin von Wikimedia Deutschland, macht keinen Hehl daraus: Auf „10 bis 15 Prozent“ beläuft sich der Frauenanteil unter den aktiven Wikipedianern, nicht nur bei der deutschsprachigen Version, auch in der deutlich größeren englischen Community. Ein trauriger Durchschnitt für das Vorzeigeprojekt des Web 2.0 – und die Wikipedianer überlegen seit langem, woran das liegt. Zumal die schlechte Quote das Potential des Lexikons insgesamt schmälert: „Ich bin überzeugt davon“, sagt Catrin Schoneville, „dass das Nachteile hat. Sowohl was die Qualität der Kommunikation angeht, die Vielfalt der Perspektiven als auch die thematische Abdeckung.“ Was der Grund für die Zurückhaltung sein könnte? Schoneville vermutet, „dass der interne Umgangston eine Rolle spielt.“ Vielleicht aber auch technische Hürden oder das sehr komplexes Regelwerk der Wikipedia.

Immerhin scheint folgende Faustregel zu gelten: Je technischer oder politischer die Themen, und je kontroverser die dazugehörigen Diskussionen – desto weniger Frauen melden sich überhaupt zu Wort. In den Kommentarspalten der großen Medien-Blogs sind die angry white men schon lange unter sich. Markus Beckedahl, der Betreiber von netzpolitik.org, zuckte am Rande der letzten re:publica nur ratlos die Schultern: „Männer geben eben überall gerne ihren Senf dazu.“ Bei Golem.de, dem IT Informationsportal des Holtzbrinck-Verlags, lesen zwar 14 Prozent Frauen mit, kommentieren tut fast keine von ihnen. Geschäftsführer Jens Ihlenfeld vermutet ebenfalls, dass der Ton die Musik macht. „In unseren Kommentarspalten schaukelt sich die Stimmung schnell auf, da werden regelrechte Glaubenskriege ausgetragen.“ Immerhin hat sich das Niveau deutlich gebessert, seit vor einigen Wochen eine Anmeldepflicht eingeführt wurde. Jetzt schreibt die Redaktion auch mal ermahnende E-Mails. „Das hat einen sehr positiven Effekt“, konstatiert Ihlenfeld. „Wie wenn Mama am Rand vom Sandkasten steht und aufpasst, dass keiner dem anderen mit der Schippe auf dem Kopf haut.“

Die Frau als zurückhaltende, konsensorientierte Moderatorin – in der rhetorischen Genderforschung ist diese soziale Rolle seit langem bekannt. In dem von Doerte Bischoff und Martina Wagner-Egelhaaf herausgegebenen Sammelband „Mitsprache, Rederecht, Stimmgewalt“ (Universitätsverlag Winter, 2006) stellt die Linguistin Susanne Günthner aktuelle Untersuchungsergebnisse aus der empirischen Gesprächsforschung vor – pikanterweise am Beispiel des Universitätsbetriebs selbst: „Selbst statushohe Teilnehmerinnen bringen in der Regel ihre Gegenmeinungen recht zahm vor.“ Daher fehle den weiblichen Wortbeiträgen oft „die vernichtende Schärfe“, ferne neigten selbst Professorinnen viel stärker als ihre männlichen Kollegen zu „Selbstkritik“.

Das wiederum ist aber keineswegs ein biologisches Phänomen, sondern situations- und kontextabhängig. Auch Frauen, so Günthner, beherrschen den ironischen Angriff, die deutliche Dissenzmarkierung, die offene Konfrontation. Allerdings wenden sie diese Strategien eher in privaten Argumentationen oder informellen Streitgesprächen an. Auf den öffentlichen Bühnen der Mediengesellschaft gehen sie selten in die aggressive Auseinandersetzung.

Na und, könnte man dagegen halten, soll doch jeder schreiben oder schweigen, verbal kuscheln oder krakeelen – ganz nach seiner Façon. Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Zumindest, wenn sich die weibliche Partizipations-Unlust nicht nur auf Wikis, Blogs oder Newsportale beschränkt, sondern auch neue politische Mitspracheprojekte davon betroffen sind – also jene Orte im Netz, an denen zukünftig verstärkt öffentliche Konsensbildung betrieben werden soll. Die Stadt Solingen zum Beispiel hatte auf dem Portal solingen-spart.de kürzlich ihre Bürger aufgefordert, Sparvorschläge online zu kommentieren und über sie abzustimmen. Von den knapp 4.000 Bürgern, die teilnahmen, waren rund 1.500 Frauen und 2.000 Männer, 500 machten keine Angaben zu ihrem Geschlecht.

Bei der ausführenden Agentur Zebralog ist man seit langem sensibilisiert für die, wie Geschäftsführer Oliver Märker es nennt, „übliche Beteiligungsasymetrie im Internet“. Seine Firma hat bereits für etliche Bundesministerien und Großstädte Partizipationsplattformen umgesetzt, aktuell befragt Bonn unter www.bonn-packts-an.de seine Einwohner nach Sparvorschlägen. Zebralog betreut dabei nicht nur die Foren, sondern wertet die Daten der angemeldeten Teilnehmer auch demographisch aus. Bislang ist man mit den Ergebnissen ganz zufrieden, denn die Frauenquoten auf den Bürgerportalen sind erfreulich hoch. Grund seien möglicherweise „die besonderen Kommunikationsbedingungen“, meint Märker, „die kurzen Laufzeiten, die einfache Benutzeroberfläche und die ständige Anwesenheit einer Moderation“. All das trägt offenbar dazu bei, dass Frauen aktiv mitdiskutieren.

Noch allerdings sind das nur erste Erfahrungswerte und punktuelle Beobachtungen. Genauere Antworten, unter welchen Bedingungen welche Bevölkerungsschichten am digitalen Dialog teilnehmen, kann letztlich nur die Forschung geben. e-Partizipations- und liquid-democracy-Projekte werden es sich jedenfalls künftig nicht erlauben können, die digitalen Gräben, die nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch zwischen den Generationen und den Bildungsschichten verlaufen, außer Acht zu lassen. Schon um der eigenen Glaubwürdigkeit willen.

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