AUF AUGENHÖHE

Er: ein junger Moslem aus Mosambik. Sie: eine deutsche Studentin in Leipzig. Die Geschichte einer einfachen Liebe unter komplizierten Umständen. DAS MAGAZIN. Februar 2011.

Das erste, was auffällt, ist der Größenunterschied. Sie überragt ihn um fast einen Kopf. Das zweite, was irritiert: der körperliche Abstand, den das Paar hält. Friederike, genannt Fritzi, und Abdul, genannt Abú, sitzen auf der Wohnzimmercouch von Fritzis Eltern in Berlin. Zwischen die beiden scheuen jungen Leute würde locker eine Anstandsdame passen.

Später an diesen Nachmittag wird die 21-Jährige das erklären. Seit einem Jahr sind sie ein Paar, kennengelernt haben sie sich in Mosambik – wunderschön gelegen an der Südostküste Afrikas, aber in den letzten Jahrzehnten auch gebeutelt von einem Bürgerkrieg und einer Naturkatastrophe. Trotz zahlreicher Bodenschätze ist es immer noch eines der ärmsten Länder der Welt. Die deutsche Abiturientin Fritzi absolviert dort von September 2009 bis September 2010 einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst, hilft in der kleinen Küstenstadt Inhambane bei einer Organisation, die Nahrungsmittel verteilt und sich um die Rechte von Kindern kümmert.

Zum Team ihrer NGO gehört auch ein junger Mosambikaner, Abú, sie freunden sich schnell an. Das funktioniert erst mal nicht anders als in Europa: Man simst sich, verabredet sich, geht spazieren. »Da gibt es in der Bucht so eine Art Flaniermeile«, erklärt Fritzi. Da sind sie und Abú viel unterwegs, erzählen sich gegenseitig von ihrem Leben.

Die Reaktionen auf das optisch ungleiche Paar bleiben nicht aus. »Wir wurden immer angestarrt«, erzählt Fritzi, »egal, wo wir waren«. Weil sie die Aufmerksamkeit nicht sonderlich mögen, halten sie Abstand. In Mosambik ist es ohnehin nicht üblich, dass man sich öffentlich küsst oder Händchen hält. Später haben sie es so beibehalten, ein bisschen auch aus Selbstschutz.

Denn natürlich wird getuschelt, darin unterscheidet sich die mosambikanische Gesellschaft nicht von der deutschen. »Wenn jemand eine weiße Freundin hat«, erzählt Abú, »dann wird er bewundert«. Weil er den Jackpot geknackt hat, sozusagen. »Aber keiner glaubt, dass es um Liebe geht.« Auch Abú muss sich von seinen Freunden viele Sprüche anhören, manches davon kränkt ihn so, dass er den Kontakt abbricht. Andere denken, er schwimme im Geld, jetzt, wo er eine Europäerin aufgegabelt hat.

Überhaupt: Geld und Liebe. In der traditionellen afrikanischen Gesellschaft sei das eng verwoben, erklärt Abú. Wer als Mann Geld hat, kann vielen Frauen Geschenke kaufen und sich dadurch auch mehrere Freundinnen leisten. »Das gilt als normal.« Seine deutsche Freundin ist darüber anfangs ziemlich empört; als ein Freund von Abú gleichzeitig mit zwei Frauen zusammen ist, will sie die Sache unbedingt aufklären. Es folgen lange Diskussionen, aber richtig Streit gibt es nicht. »Wir versuchen immer auch die jeweils andere Position zu verstehen«, sagt sie. Auch wenn es manchmal schwer fällt.

Vielleicht liegt in dieser Unvoreingenommenheit die größte Gemeinsamkeit der beiden. Denn auch Abú begegnet der fremden Frau und ihrer Kultur neugierig und aufgeschlossen. Seit er Ende November den Gegenbesuch in Deutschland angetreten hat, beobachtet der junge Moslem das Verhalten seiner Gastgeber: »Familie zum Beispiel funktioniert hier völlig anders.« Dieses stundenlange Zusammenhocken in geschlossenen Räumen etwa, »das ist bei uns überhaupt nicht üblich. Da ist immer ein Teil auf der Straße oder woanders.« Genauso erstaunt ist er über den offenen Umgang zwischen Kindern und Eltern. »Hier kann eine Tochter ihren Eltern alles sagen, was ihr gerade in den Kopf kommt.« Das wäre daheim undenkbar, da redet man innerhalb der Familien nicht so viel miteinander. Und schon gar nicht so unverblümt.

Fritzi und Abú dagegen reden jeden Tag, und zwar sehr viel, wie Abú findet. Worüber? »Über die Rechte der Frauen zum Beispiel«, sagt er. Für ihn ist das ein zentrales Thema, er ist bei einer alleinerziehenden Mutter großgeworden, Gleichberechtigung findet er wichtig, »modern«. Aber auch über Vertrauen haben die beiden schon viel gesprochen, allein wegen der Flirtangebote, die Fritzi in Mosambik ständig bekam. »Die Männer haben da ja keinerlei Hemmung, Komplimente zu machen. Selbst wenn der Freund daneben steht.« Dauernd bekommt sie zu hören, wie schön sie sei, wie klug, wie sozial.

Abú nimmt das gelassen, und Fritzi genießt die Aufmerksamkeit der afrikanischen Charmeure durchaus. »Hier sagt einem sowas schließlich nie jemand«, ergänzt sie und lacht. Und obwohl sie – weil aus Europa – per se als wohlhabend gilt, lassen es sich die mosambikanischen Männer nicht nehmen, sie permanent einzuladen. »Ich habe immer alles ausgegeben bekommen – weil ich eine Frau bin.«

Es ist die eine Seite der Medaille. Abú berichtet sehr kritisch auch von der anderen: »Bei uns ist der Mann der Chef im Haus, die Frau ist ihm untergeordnet. Und es gibt viel häusliche Gewalt.« Auch dass Schwiegerväter ein gutes Verhältnis zu ihren Schwiegersöhnen haben, kommt eher selten vor. Einfach bei den Eltern der Freundin vorbeikommen, zusammen essen, rumhängen? Unmöglich. »Das geht nur, wenn man als Mann etwas zu bieten hat.« Konkret: Geld.

Abú hat davon nicht viel, aber er hat sich trotzdem ins Elternhaus seiner Freundin getraut. In das Land, von dem man sich in seiner Heimat viel erzählt. Ja, schön sei es in Deutschland, man könne dort gut leben, aber es gäbe auch sehr viel Rassismus. Darüber hat er viel nachgedacht, bevor er kam, sagt Abú. »Aber bis jetzt ist mir noch nichts passiert.« Es klingt kein bisschen ironisch, eher pragmatisch.

Fritzi geht mit dem Thema nicht ganz so gelassen um. Seit sie im Herbst 2010 zurück nach Deutschland kam, mitten hinein in die Sarrazin-Debatte, steigt oft Wut in ihr auf. Sie ist hellhörig geworden, auch für subtilen Rassismus. Aber immerhin, geglotzt wird in Deutschland weniger, da sind die beiden sich einig.

Es interessiert sie vielleicht aber auch nicht mehr so sehr wie in den ersten Monaten. Viel wichtiger war, dass sie sich nach Fritzis Abschied aus Mosambik überhaupt wiedersehen konnten. Denn das war mit einem mittelschweren Aufwand verbunden: Von Deutschland aus wird Abús Reise geplant, der Flug bezahlt, die nötigen Unterlagen für das Visum beschafft. Zuhause muss Abú der deutschen Botschaft außerdem seine »Verwurzelung im Land« nachweisen, also ein festes Einkommen und einen festen Arbeitsplatz, beides für die normale Bevölkerung faktisch unmöglich. Und so wird der erste Visumsantrag abgelehnt. Erst als sich Fritzis Mutter von Berlin aus einschaltet, geht der Antrag im letzten Augenblick doch noch durch.

Man kann nur mutmaßen, wie viel innere Gelassenheit und Souveränität es für den 26-Jährigen bedeutet, sich in Deutschland für einige Wochen aushalten lassen zu müssen. Es ist seine erste Auslandsreise, eingeflogen ist er nur mit einem Rucksack. Jeans und Pullover besitzt er natürlich, eine Winterjacke nicht. Die hat er jetzt von Fritzis großem Bruder geborgt bekommen, auch dicke Schuhe wurden angeschafft. Abú hat das alles mit großer Ruhe über sich ergehen lassen, genau wie den Tannenbaum, den Stollen, die Geschenke, die Verwandten. »Wenn er angesprochen wird«, sagt Fritzi, »dann meistens auf Französisch. Kein Mensch weiß, dass die Franzosen nie in Mosambik waren.« Woher auch, viele Deutsche wissen ja auch nicht mal, wo Mosambik liegt.

Dabei gehört Abú zuhause nicht zu den Ärmsten der Armen. Der 26-Jährige spricht fließend Portugiesisch und hat gerade Abitur gemacht hat. Damit ist er schon Teil der schmalen Bildungselite des Landes. Denn Schule ist in Mosambik nur bis zur siebten Klasse kostenlos, danach müssen die Eltern Schulgeld aufbringen – was die wenigsten können. Zumal viele Kinder Waisen sind, weil AIDS die Generation der Eltern stark ausgedünnt hat. Heute sind schätzungsweise 50 Prozent aller Mosambikaner jünger als 20 Jahre, die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei knapp über 40 Jahren.

Auch Abús Eltern sind beide schon tot. Sein Vater schon sehr lange, seine Mutter starb vor vier Jahren. Seitdem schlägt er sich alleine durch, »und ich habe Freunde, die mich unterstützen«. Er lebt im Haus seiner Mutter, ohne fließendes Wasser, aber immerhin mit mehreren Räumen, Strom und einem Zementfußboden. »Das ist schon gehobene Ausstattung«, erklärt Fritzi. In anderen Hütten liegt drinnen der gleiche Sand wie draußen.

Wenn Fritzi von der Heimat ihres Freundes erzählt, von Stromausfällen und kaputten Straßen, von den fleckigen Shirts der Kinder, den kleinen Krankenstationen und den Märkten, auf denen man die Secondhand-Kleidung aus Europa kaufen kann, dann immer mit großer Sachlichkeit. Ohne herablassendes Mitleid. Mosambik fand sie beeindruckend schön, die alten Kolonialbauten, die Landschaft, die Menschen, sie will bald wieder hin. Der spartanische Lebensstil hat sie nicht gestört, im Gegenteil. Selbst jetzt, wo sie wieder vor vollen deutschen Warenregalen steht, ist sie hauptsächlich desinteressiert. »Ich muss mich richtig zwingen, wieder Geld auszugeben.«

Nur eins vermisste sie in ihrem Jahr in Afrika: „Käse!“ Und Kinderbücher. Denn die gibt es in Inhambane fast gar nicht zu kaufen. Auch über die Situation an den Schulen regt sich die Soziologiestudentin auf, »der Landesdurchschnitt liegt bei 68 Kindern pro Klasse.« Und der Unterricht besteht oft nur daraus, dass die Kinder ihren eigenen Namen malen lernen. »Ich habe Drittklässler kennengelernt, die noch nicht lesen konnten«, erzählt sie. Deshalb schiebt die 21-Jährige in den letzten Monaten ihres Aufenthalts noch ein kleines eigenes Projekt an: eine Lesewerkstatt. Sie betreute Grundschulkinder vor und nach dem Unterricht, las und spielte mit ihnen. Die portugiesischen Kinderbücher besorgten ihre Eltern in Deutschland.

Was für Fritzi die Bücher sind, das ist für Abú die Technik. Flughäfen, Schienennetze, moderne Architektur, die westliche Infrastruktur gefällt ihm sehr. »Alles ist hier so entwickelt.« Auch Mosambik hatte Ende der Neunziger Jahre bereits einen respektablen Aufschwung hingelegt, aber dann kam 2000 die Flut und warf die junge Wirtschaft wieder um Jahre zurück. Wie das gelobte Land kommt Deutschland Abú trotzdem nicht vor, „es ist schön hier, aber kein Paradies.“ Dann redet er vom Schnee, den er gar nicht mag, und von der Kälte. Andererseits, die kleinen Häuschen auf dem Leipziger Weihnachtsmarkt, »die fand ich gut!«

Der Weihnachtsmarkt ist mittlerweile abgebaut, auch Abús Besuch in Deutschland geht in wenigen Tagen zu Ende. Wie es dann weitergehen soll? Die beiden haben darauf keine Antwort. Erst mal wird sie in Leipzig Soziologie studieren, er wird sich in Mosambik für Geografie einschreiben. Für Abú wird das Studieren dabei ungleich schwieriger als für Fritzi, denn die örtlichen Studiengebühren sind hoch, so was wie Bafög gibt es in Mosambik nicht.

Wiedersehen wollen sie sich in diesem Jahr trotzdem noch, wahrscheinlich in den Semesterferien, wenn Fritzi wieder nach Afrika kommt. Aber, ergänzt sie nachdenklich, »natürlich habe ich das Gefühl, dass in der Zukunft mehr von mir abhängt.« Sie ist es, die Flüge buchen oder Einladungen aussprechen kann. »Das macht es schwierig für mich, aber auch für ihn.« Und ja, auch darüber hätten sie schon miteinander gesprochen.

Mittlerweile hat Abú seine Beine ausgestreckt und ragt mit seinen Zehen an den Rock seiner Freundin heran. Fritzi beugt sich vor und schenkt ihrem Freund Apfelsaftschorle nach. Auf der Couch im winterlichen Berlin sitzt ein beeindruckend harmonisches Paar – auf Augenhöhe.

Comments are closed.