DEINE, MEINE, UNSERE

Patchwork ist aufreibend und anstrengend. Aber wenn das Familienexperiment gelingt, kann es einen verdammt glücklich machen. BERLINER MORGENPOST. 8. Januar 2011.

Es gibt einen blöden alten Witz, der besagt, dass eine Frau über Vierzig eher vom Blitz getroffen wird als einen neuen Mann zu finden. Das ist Quatsch. Richtig müsste es heißen: Die Wahrscheinlichkeit, dass die nächste große Liebe noch keine Kinder mit irgendwem anders hat, tendiert ab Mitte Dreißig gegen null.

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Patchwork also. Bei uns war das keine bewusste Wahl, sondern zwischen erstem Wein und ersten Küssen erst mal nur ein Nebenschauplatz. Dachten wir. Ach, du hast schon drei Kinder? Ich auch, aber nur eins, und das ist noch ziemlich klein.

Klein, aber nicht stumm. Und schon gar nicht ohne eigene Meinung. Nach ein paar Wochen Männerbesuch jedenfalls stößt das Kleinkind morgens beim Frühstück ein wütendes „Der soll weggehen!“ aus. Meine Tochter hat nicht die geringste Lust auf spontanen Familienzuwachs.

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Auch uns kommen anfangs immer wieder Zweifel. Während des ersten Sommerurlaubs will ich mich täglich mindestens dreimal trennen. Sein maulender Sohn, meine bockige Tochter, dazwischen wir, die wir uns kaum kennen, wer soll das aushalten? Da kann die schwedische Landschaft noch so idyllisch sein.

Andererseits gibt es auch grandios harmonische Augenblicke. Wie wir zu viert im kleinen, alten Auto sitzen und „Conny, Conny mit der Scheiße im Haar“ grölen. Wie wir im Zelt an einem einsamen See übernachten und auf dem Campingkocher lecker „Varioli“ warm machen.

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Für Patchwork-Paare gibt keine romantische Schonfrist, keine Zeit, sich gegenseitig Schokoladenseiten zu zeigen. Geschweige denn, ein solides Fundament aus Verständnis und Gewohnheit zu gießen, auf dem die Gören später herumtollen können. Von Anfang an mischt ein halbes Dutzend Leute mit. Fremde Launen, fremde Ansprüche. Ich muss das aushalten, er muss das aushalten.

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Aber die tiefschwarze Brille taugt im Alltag so wenig wie die rosafarbene. Patchwork, das lerne ich in diesen ersten Monaten, heißt machen, nicht grübeln. Theoretische Vorsätze helfen nicht, übertriebene Gefühlsduseleien schon gar nicht. Ich liebe seine Kinder nicht automatisch, weil ich ihn liebe. Ich versuche sie nett zu finden, ich strenge mich an, damit sie mich nett finden können. Wenn sie zu Besuch kommen, bleibe ich im Hintergrund, lasse den Wochenend-Papi sein Wochenend-Papi-Programm durchziehen, halte diskret meine eifersüchtige Tochter in Schach.

Am Ende solcher Tage nicken er und ich uns nur kurz zu, „war doch nett“. Weitere Analysen verkneifen wir uns. Wir üben uns in Geduld, spielen auf Zeit und treiben uns viel in Schwimmbädern rum. In der Kombination übrigens eine echte Wunderwaffe.

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Das Gute an Patchwork: Man kommt schnell zum Wesentlichen. Fünf Jahre Lebenszeit an eine Beziehung verplempern, die sich dann doch als alltagsuntauglich erweist? Undenkbar, sobald Kinder im Spiel sind. Da bröckeln die hübschen Fassaden schon nach dem ersten kindlichen Tobsuchtsanfall.

Aber eigentlich gefällt mir sehr, was hinter seiner Fassade zum Vorschein kommt. Ihm offenbar umgekehrt auch, jedenfalls hat er noch nichts Gegenteiliges verlauten lassen.

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Apropos verlauten: Letzten Sommer habe ich meinen ältesten Stiefsohn zum ersten Mal angebrüllt, da war er 20, ich 36 und wir kannten uns schon sechs Jahre lang. In den ersten Jahren wäre das undenkbar gewesen. Der unausgesprochene Deal in dieser Zeit: Ich halte mich bei deinen zurück, du hältst dich bei meinen zurück. Nichts wollen Alleinerziehende oder Teilzeiteltern weniger hören als Erziehungsratschläge, die in Wahrheit vorwurfsvolle Einmischungsversuche sind. Oder schlecht getarnte Eifersuchtsszenen. Ich oder er, sie oder wir, solche Fragen dürfen nicht mal gedacht werden. Geschweige denn ausdiskutiert. Es ist wie ein Pakt, der da zwischen uns besteht, und an den wir uns streng halten.

Wobei Ausnahmen natürlich die Regel bestätigen.

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Monate nach dem Streit mit dem Stiefsohn folgt dann übrigens der Ritterschlag: Ich sei eine super Stiefmutter, attestiert mir der junge Mann nachts auf einer Party, „nervig und fordernd“ zwar, aber auch aufmerksam und fürsorglich, „so wie Mütter eben sein sollten“. Es ist das schönste Kompliment, das ich mich vorstellen kann. Und ja, du darfst auch gerne weiter deine Wäsche zum Waschen vorbei bringen.

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In Trippelschritten nähern wir uns dem Burgfrieden. Seine Strategie bei meiner Tochter: Hey, ich bin ein lustiger Kumpel, lass uns toben. Meine Strategie bei seinen Kindern: Willkommen im Hotel Stiefmama, hier ist der Kuchen, da die Limo, darf ich Ihnen noch einen Wunsch von den Augen ablesen?

Was soll ich sagen: Funktioniert stundenweise prima. Die ganz großen Schiffbrüche aber lassen sich dadurch nicht verhindern: pubertäre Ausfälle, Schulprobleme, temporäre Zerwürfnisse, scheinbar unlösbare Unterhaltsstreitereien. Ärger, Sorgen, graue Haare.

Wir versuchen trotzdem, nie lange nachtragend zu sein. Und hoffen, dass auch uns nicht alle Versäumnisse nachgetragen werden. (Und wenn wir gar nicht weiterwissen: Spaßbad. Pizza. Videoabend.)

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Während andere Paare ihre ersten Auslandsreisen planen, kriegen wir noch ein Kind und noch ein Kind und kommen an unsere Grenzen. Räumlich, nervlich, überhaupt. Zeit und Aufmerksamkeit werden knapp. Alles muss durch immer mehr Menschen geteilt werden. Permanent wägen wir ab, planen um, rechnen durch, versuchen allen Kindern halbwegs gerecht zu werden. Irgendwer kommt trotzdem immer zu kurz. Mal ein Großer, mal eine Kleine. Und wir als Paar sowieso, aber das ist ja normal.

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Noch so eine stille Vereinbarung zwischen uns: Das Thema Geld, so leidig es ist, muss unbedingt nebensächlich bleiben. Bis heute wird zuhause nicht gefragt, wer wessen Gummistiefel bezahlt, wer wessen Geschenke kauft. Es wird irgendwie gemacht und irgendwie zusammengeschmissen, fertig, Ende der Diskussion.

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Meine Tochter wollte übrigens damals, als wir uns gerade kennengelernt hatten, dringend noch ein Geschwisterchen. Gut, dachte ich, das könnte doch ein argumentativer Anknüpfungspunkt sein: Was meinst du, sollen wir den netten neuen Mann behalten, vielleicht kriegt Mama dann ja auch noch ein Baby… Der Gegenvorschlag der 4-Jährigen: Warum kannst du nicht mit meinem Papa noch ein Baby machen?

Aus der Retrospektive klingt das sehr lustig, damals war es nur mittellustig.

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Was sehr lange nicht weg geht: diese permanente Erziehungsunsicherheit. Bevorzuge ich meine leiblichen Kinder, bevorzugt er seine? Ist man mit seinen Stiefkindern ungeduldiger, schneller genervt? Oder genau umgekehrt: bei den eigenen viel strenger? Die hysterische Selbstbefragung ist allerdings eher so ein Mutterding. Männer scheinen deswegen nicht nachts wach zu liegen.

Nach ein paar Jahren wird das besser. Immerhin hassen sie uns nicht, denke ich, also haben wir wohl nicht alles falsch gemacht.

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Überhaupt nehmen die Reibereien stetig ab. Und die fröhliche Gelassenheit ständig zu. Und so sieht es heute manchmal aus, unser Glück: Der zwei Meter lange Esstisch ist voll besetzt, mit zwei Erwachsenen, sechs Kindern, deren Freunden und Freundinnen, Kumpels und Lebensgefährten. Eine Familie von altitalienischem Ausmaß. Die Großen haben die Kleinen auf dem Schoß, die Kleinen wuscheln den Großen durch die Haare, nebenbei werden Berge von Essen vertilgt. So soll es sein.

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Und, ja, wir sind stolz. Nicht nur auf die Kinder, die mittlerweile zur Hälfte erwachsen sind, sondern auch auf uns. Dass wir als Paar durchgehalten haben. Dass wir diesen knirschenden, rumpelnden Karren, den wir seit sieben Jahren Familie nennen, nicht an die Wand gefahren haben. Denn Wände wären wahrlich genug da gewesen. Und es ist auch nicht auszuschließen, dass noch ein paar kommen.

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