DIE PERFEKTE PARTY

Ach, es müsste doch mal wieder ein richtig wildes, großartiges und unvergessliches Fest gefeiert werden… DAS MAGAZIN. Dezember 2010.

Ich bin noch gar nicht müde. Das ist gut, denn es ist erst zehn Uhr.  Und vor elf kann man nicht losgehen.

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Drei Wochen lang prangte der kleine wilde Flyer oben links an der Pinnwand. Viele englische Worte, kreuz und quer drauf layoutet. Kurzfassung: Ein paar Leute feiern heute irgendwas.

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Die Wohnung ist groß, ich kenne sie nicht, mindestens vier Zimmer, ein langer, verwinkelter Flur. Und, wie geil, man kann im Kreis gehen! Lichtquellen wurden künstlich reduziert, schön dunkel überall. Möbel scheinen die Gastgeber nicht zu besitzen, oder sie wurden vorausschauend weggeschafft. In einem Raum wirft eine eifrige Diskokugel ihre Pünktchen an die Decke. In einem anderen Raum beleuchten riesige Dias die Wände. Kunst oder Kindheitsimpressionen oder eine Mischung aus beidem, sieht jedenfalls cool aus. Falls man das heute noch so sagt.

Noch sind alle Räume leer.

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Die Küche nicht. Sie ist hell und knallvoll. Erste Körperkontakte beim vorsichtigen Versuch zum Kühlschrank vorzudringen. Keiner schupst, alle sehen freundlich aus und sind es auch. Wo sind denn hier die Gläser, danke, und ja, ich nehm auch einen Caipirinha.

Hier bleib ich erst mal. Denke ich, und alle anderen denken das offenbar auch.

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Das Büffet ist eine Zumutung, halleluja. Man kann nicht orgastisch feiern und gepflegt essen. Das schließt sich per se aus. Selbstgerollten Sushis, bunte Bio-Wraps, komplexe Obstspieße – alles keine guten Partyindikatoren. Noch schlimmer sind nur diese wagenradgroßen Glasschüsseln, in denen begabte Hausfrauen handverlesene Bärlauchblätter mit Cherrytomaten, gerösteten Pinienkernen und Grapefruitschnitzen drapiert haben.

Nichts davon liegt hier rum. Stattdessen pappiges Fladenbrot neben einer undefinierbaren weißen Pampe, vermutlich ein Quarkdings, daneben ein paar lieblos ausgekippte Oliven. Ein paar fette Käseklumpen, ein Berg Weintrauben und ein Blechkuchen, der nicht ganz durchgebacken ist. Dem gelben Kartoffelsalat sieht man den Eimer noch deutlich an. Heute Nacht um drei wird er dunkle Ränder angesetzt haben.

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Ungefähr fünfunddreißig  Menschen sind jetzt schon da. Minütlich strömen neue dazu. Irgendwann bleibt die Wohnungstür einfach offen. Zum Glück ist die doppelverdienende Nachbarschaft kollektiv in die Uckermark ausgewandert.

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Die Anwesenheitsformel für perfekte Partys: Von 21.30 Uhr bis 23.45 Uhr steigt die Gästekurve konstant ein. Es folgt ein mehrstündiges Hochplateau bis ca. 3 Uhr morgens. Zwischen 3:15 Uhr und 04:30 Uhr sinkt die Gästekurve zwar ab, bleibt dann aber bis 05:56 Uhr auf niedrigem Niveau nochmal stabil. (Die Anwesenheitsformel für kotzlangweilige Partys, nur zum Vergleich: Schon um 20 Uhr klingeln die ersten eilfertigen Gäste, um 21:30 Uhr sind alle da, der Anwesenheitspeak wird dann bis 22:49 Uhr mühsam gehalten. Danach: rasche Entleerung, junge Eltern und alte Pärchen zuerst, dann pflichtbewusste Arbeiter und Angestellte. Um 2 Uhr kramen die letzten zwei Singles nach ihren Schlüsseln. Soll ich dich mitnehmen, ich bin mit dem Auto da. Nee danke, ich hab mein Fahrrad vor der Tür stehen. Na dann, kommt gut heim. Und bis morgen früh, „in alter Frische, hihi, stöööhn“.  Um 2:20 Uhr hat die Gastgeberin die Spülmaschine befüllt, das Altglas eingesammelt, die Küche gewischt.)

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Ich unterhalte mich prächtig. Weil sich alle an die Regeln halten.

Regel 1: Verklemmte Uuund Komma woher kennst du die Gastgeber-Fragen sind tabu.

Regel 2: Herablassende Uuund Komma was machst du so-Fragen sowieso.

Regel 3: „Blablakinderblaba“ – hab ich nicht, kenn ich nicht, will ich mich nicht drüber unterhalten.

Regel 4: Eigentumswohnung, iPhone, iiih, Unworte. Werden nicht benutzt.

Regel 5: Das P-Wort fällt, wenn, dann nur im Rainald Grebe‘schen Plural: „Projekteprojekte“.

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Ein fremder Mann drückt sich im Flur an mir vorbei, er sieht nach differenziertem Musikgeschmack und solidem Muskelgerüst aus.  Ich schaue ihm interessiert auf die Hinterbeine, äh, Augen. Er mir auch.

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Die Gästemischformel für perfekte Partys: 4 % beste Freunde, 18 % gute Bekannte, 78 % total strangers. Davon 53 % Männer, 47 % Frauen; verteilt auf 24 % Pärchen, 76 % Singles. Davon: 15 % erkennbare Langweiler, 17 % optische Freaks, der Rest sehr passable aussehend. Alles in allem: 39 % exzessive Trinker, 32 % moderate Trinker, 15 % erfahrene Drogenkonsumenten. Des weiteren: mindestens drei bildschöne Hochschwangere, maximal ein Typ mit Instrument, zwei mit Schnauzer, drei mit Heiner Müller Brille. Keine weinenden Beziehungskatastrophen.

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Ich trenne Spreu vom Weizen. Weizen = perfekte Partybegleiter. Extrovertiert, fröhlich, selbstbewusst. Entweder sind sie von Natur aus so (soll’s ja geben) oder sie können jedenfalls so tun als ob. Nämlich ihre ansonsten natürlich charakterlich hochinteressante Neigung zu Unglück, Zynismus und Soziophobie mal für einen Abend zuhause lassen.

Schlimm sind die anderen, die Drankleber. Die meinen, eine Party sei der richtige Ort, um endlich mal wieder die eigene weinerliche Befindlichkeit unter die Leute zu bringen. Deshalb stehen Drankleber auch den ganzen Abend vorwurfsvoll neben ihren Ursprungsbekannten. Und warten auf Ansprache:

Was ist denn? – Nichts. – Du machst so einen gelangweilten Eindruck. – Ich kenn hier ja keinen. – Na und? (Pause. Schweigen. Lautes Ausatmen.) – Ich denk mal, ich werd wohl bald auch aufbrechen, ich muss ja morgen…

Gegen solche Freunde hilft nur eins: persönlich zur Tür bringen. Tschühüss, winke, winke.

Puh.

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Es ist unfassbar voll mittlerweile, laut, und sehr warm. In allen Zimmern lungern Menschen herum, Grüppchen schlängeln sich ziellos hin und her. Auf dem Balkon sitzen mit angezogenen Beinen die Philosophen, zwei Zigaretten lang kann man sich das Geschwafel ja mal anhören. Vor dem Klo ist es dann aber doch ungleich lustiger, ein vierköpfige Schlange, alle haben eine Menge Bier intus und müssen dringend, genug Anlass sich kichernd und trippelnd gegenseitig Vornamen zu entlocken.

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Die meisten Frauen haben mittlerweile noch mehr ausgezogen, überall kurze Kleider, nackte Schultern, schöne Beine. Außer Getränke holen und wegbringen gibt es nichts zu tun und wenig zu sagen, trotzdem ist alles gut. Rumstehen mit irgendwas in der Hand. Leuten zugucken, wie sie mit irgendwas in der Hand rumstehen. Sich ausnahmsweise nicht blöd oder allein oder fehl am Platz fühlen. Ich bin hier mit euch, ihr seid hier mit mir. Das ist es.

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Am Anfang des Abends hatte sich die Zeit noch mühsam vorangeschleppt, jetzt vergehen die Stunden mit einem Augenaufschlag. Der Flurmann ist beim Kreiseziehen noch drei Mal an mir vorbeigekommen, aktuell befinden wir uns in der Augenbrauen-Hochzieh-Anlächel-Phase.

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Wer die ganze Nacht nicht auftaucht: die Polizei. Wer auch nicht kommt: der Ex-Freund. Beides trägt nachhaltig zu meiner Entspannung bei.

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Irgendwer muss Madonna aus dem CD Regal gepuhlt haben. Don’t go for second best baby. Sieben stinknormale Frauen, darunter jemand, der sonst ich ist, mutieren spontan zu exaltierten Discoqueens, kreisen die Hüften, werfen die Haare, reiben die Hintern aneinander. Natürlich nur als ironisches Zitat. Den umstehenden Herren gefällt es vermutlich trotzdem.

Wie es ab jetzt musikalisch weitergeht, ist 100 % vorhersehbar: I am the passenger and I ride and I ride oh god I am the American dream I do not think I‘m too extreme and I’m a handsome son of a bitch there is no use getting into heavy petting it only leads to trouble and seat wetting gimme gimme gimme a man after midnight take me to the darkness to the break of the day sein Pyjama liegt in meinen Bett sein Kamm in meiner Bürste steckt was soll das doch deine blauen Augen machen mich so sentimental so blaue Augen wenn du mich so an –

Wir zappeln, wir keuchen, wir singen Schlager. Und meinen alles genau so.

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Durst, Hunger, Küche, wunderbar, noch Bier da. Und Kartoffelsalat, lecker!

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Vier Uhr, der Kopf kann nur noch Einwortsätze. Wie. Das. Hier. Aussieht. Voll. Klebrig. Wo. Ist. Die. Flasche. Zum. Reinaschen. Gibt’s. Noch. Sekt. Oder. Lieber. Wasser. Scheiße. Fensterbrett. Runtergefallen. Glaub. Muss. Aufs. Klo. Aufstehen. Anstrengend. Wie. Hieß. Der. Typ. Der. Ist. Echt. Aua. Meine. Nur. Kurz. Augen. Zu. An. Die. Wand. Anlehnen.

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Die Party: zu Ende. Wir: immer noch da. Zu fünft vor der Couch. (Keiner Ahnung, wer wir ist.) Andere schlafen im Nebenzimmer, zwei  fummeln torkelnd im Flur, vielleicht suchen sie auch nur ihre Handschuhe. Niemand interessiert sich dafür.

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Wir rauchen alles auf, was noch aus den diversen Hosentaschen zum Vorschein kommt. Und reden. Über Dinge. Wichtige Dinge. Lustige Dinge. Sehr lustige Dinge. Ich bin glasklar im Kopf. Und verstehe kein Wort. Deshalb muss ich lachen. Ich lache bis ich heule. Davon muss ich noch mehr lachen.

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Meine Beine: liegen lose über denen des Flurmanns, der scheinbar auch noch da ist. Vor kurzem hat er angefangen, meine Kniekehlen zu streicheln. Dagegen ist nichts einzuwenden. Finde ich.

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Sieben Uhr. Die Stadt. Sie sieht komisch aus, fremd. Kein Wunder, denn wir sind nicht von hier. Wir sind lippenstiftverschmierte Außerirdische mit Wackeldackelköpfen. An jeder Kreuzung bleiben wir stehen, verkeilen unsere Mangakörper umständlich ineinander. Tasten nach Haut unter halboffenen Jacken. Zeitlupenküße, mit geschlossenen Lidern.

Alles ist nicht echt. Oder alles ist endlich echt.

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Jetzt nur nicht den Fehler machen, schlafen zu gehen. Der Schlaf ist der Feind. Wir kennen seine Tricks: Er will die Alltagskulissen hochklappen und die Wochentage einschalten. Aus unseren Köpfen sollen dröhnende Baustellen gemacht werden. Aus unseren Eingeweiden blubbernde Sümpfe.

Aber wir sind schlauer. Wir laufen einfach weiter, in diesen Tag hinein, und bis in die nächste Nacht und immer so weiter.

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Zum Glück bin ich immer noch nicht müde. Ich werde überhaupt nie wieder müde sein.

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