FREUDE SCHÖNER BADELATSCHEN

Ja, der Urlaub war erholsam, und das hatte mal wieder nichts mit Meer oder Bergen zu tun. Sondern mit der Reduktion des Zeugs. DAS MAGAZIN. September 2010.

Vielleicht ist das Ganze ein Frauending. Dieser unstillbare Erbeutungsdrang  einerseits. Und die zyklisch wiederkehrende Sehnsucht nach Selbstschrumpfung andererseits. Anders gesagt: Das ganze Jahr über können Schränke, Zimmer, Wohnungen gar nicht groß und breit und ausgestattet und vollgestopft genug sein – aber im Sommer flieht man vor dem mühsam angehäuften Besitz in einen spärlich möblierten 17-Quadratmeter Bungalow. Trinkt Kaffee aus einer angeschlagenen Motivtasse. Und trägt die alten Jogginghosen auf.

Früher dachte ich, Entspannung hätte etwas mit Abwechslung zu tun. Mit ungewohnten Panoramablicken und unerträglichen Temperaturverhältnissen zum Beispiel. Ich mutmaßte, lahmarschige Einheimische würden ein entscheidende Rolle spielen oder heißer Sand vor pieksigem Berggeröll.

Das ist Unsinn. Was den Geist wirklich befreit und das Gemüt in tumber Zufriedenheit wabern lässt, ist das Abwesende. Nur deshalb packen wir einmal im Jahr, Listen abhakend und Migräneanfälle unterdrückend, unsere Koffer, Zelte, Schlafsäcke. Nur deshalb stellen wir uns in siebenstündige Staus gen Süden. Nur deshalb verlassen wir den Ort, den wir sonst „unser gemütliches Zuhause“ nennen.

Wir suchen das Arche Noah Feeling. Das Kleine, Enge, Überschaubare. Eins von jeder Art darf uns begleiten, mehr nicht. Denn wo sonst schon am frühen Morgen drei Shampoos und vier Spülungen aufmerksamkeitsheischend auf dem Badewannenrand stehen, wo es aus überfüllten Kleider- und Schuhschränke „nimm mich, nimm mich“ schreit, da soll in den kommenden Wochen nur eins sein:  Stille. Teures Mobiliar, identitätsstiftendes Accessoire, alles ganz weit weg. Darum geht es.

Urlaub gleich freiwillige Selbstbeschränkung gleich Seelenfrieden. Das fängt bei der Frisur an (Haare + Zopfgummi = fertig), geht über den abgeblätterten Nagellack an Händen und Füßen und endet bei dem vierzehntätigen Unterwäscheersatz namens feuchte Bikinihose.  Anziehen, ausziehen, aufräumen dauert im Idealfall nur Sekunden. Selbst das verdammte Multitasken ist über Nacht unnötig geworden. Es ist ja nichts da, was mehrhändiges Rumgewusel erfordert.

Wie anstrengend das permanente Rennen, Sortieren, Ordnen und Entscheiden im Mikrokosmos Alltag ist, merkt man erst, wenn es wegfällt. Wenn die Ablageflächen klein – und trotzdem leer sind. Fragen, die sich im Urlaub nie stellen: Hätte ich vielleicht doch besser die andere Flip Flops anziehen, die andere Sonnenbrille aufsetzen, die grüne Badetasche statt der roten packen sollen…

Glück ist: ausnahmsweise keine Qual der Wahl zu haben.

Und in die Stille hinein entdeckt der Reisende verwundert seine eigene Bedürfnislosigkeit. Da schmeckt auf dem Campingplatz auf einmal das kauintensive Graubrot, dass man sonst leidenschaftlich hasst (ich in Schweden). Da braucht man nicht mehr als einen blassen Bergkäse zum Abendbrot (ich auf Madeira). Da reicht plötzlich auch die kalte Gartendusche zur Körperpflege (ich in Brandenburg).

Und ganz tief Drinnen erneuert sich die Erkenntnis: wie einfach das Leben doch im Grunde ist. Gegen Hunger hilft Essen, gegen Durst kaltes Leitungswasser, gegen Kälte eine fleckige Strickjacke. Abends wird ausgekehrt, morgens durchgelüftet. Elterliche Auseinandersetzungen versiegen, wo keine Mülltrennungsbehälter auszuleeren sind. Kindliche Langeweile verflüchtigt sich, sobald Tiere oder Gewässer in der Nähe sind.

Und was bleibt übrig vom Lebenskonzentrat? Pure Zeit. Ich nutze sie, um endlich mal wieder zu lesen. Ein einziger Roman hat es vom überfüllten Bücherregal in den Koffer geschafft. Schon weil er konkurrenzlos ist, finde ich ihn großartig.

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