„NOCH HAT SICH SUHRKAMP NICHT GEMELDET“

KatjaBerlin schreibt den ersten deutschen Twitter-Fortsetzungsroman. Ein Gespräch mit der 30-jährigen Autorin, natürlich im 140-Zeichen-Format. ZITTY. 3. Juni 2010

KatjaBerlin, für alle, die dich nicht kennen, kannst du dich kurz vorstellen?

Wie mein Nickname ja schon andeutet, heiße ich Rita und komme aus Dortmund.

Du schreibst aus Sicht einer Katzenbesitzerin, die beruflich hauptsächlich Ablage macht und privat neben einer Blockflöte wohnt. Ausgedacht?

Leider nein. Würde ich es mir ausdenken, spielte Jude Laws Fußmassagetechnik eine größere Rolle in meinen Tweets.

Deine Daily-Twitter-Soap dokumentiert die emotionalen Höhepunkte eines jungen Angestelltenlebens. Kriegen wir eine Kostprobe?

„Es war richtig voll, Alkohol floss, jemand spielte Bob-Dylan-Songs. Aber dann musste ich leider schon nach zwei Stationen die U8 verlassen.“

In den letzten zwei Jahren hast du über 2.000 Nachrichten über Twitter verschickt. Ist das noch Hobby oder schon Sucht?

Twitter ist für mich in erster Linie mein Leben. Hobby und Sucht klingen so harmlos.

Es ist aber auch schwer, keine Kinder und keine Karriere unter einen Hut zu bringen.“ Wo fällt einem so was ein?

Im Büro, in der Kantine oder auf der Couch. Wenn es Topfwurst gibt oder der Chef UMTS und USB nicht auseinanderhalten kann, hilft nur Humor.

Ist das Kommentieren per Twitter Weltflucht? Schreibtherapie? Oder gar literarische Selbstverwirklichung?

Konfrontationstherapie trifft es besser. Ich beschreibe den Alltag mit all seinen Grausamkeiten, um keinen Psychiater damit zu langweilen.

Du verrätst deinen echten Namen nicht, weder auf Twitter noch hier im Gespräch. Warum?

Würden meine Mutter und mein Chef meinen Twitteraccount kennen, wäre ich längst enterbt und entlassen worden.

Welchen Tweet würdest du deine Mutter nicht lesen lassen?

„Lieber Nachmittagsschlaf, du bist so ein verlässlicher Garant für schlechte Laune. Darf ich Mama zu dir sagen?“

Und deinen Vorgesetzten?

„Ich bin zwar nicht willig, doch brauch ich Gehalt.“

Deine Couch- und Büroberichte bieten offenbar viel Identifikationspotential: Du hast über 3.000 Follower. Wie kamen die alle auf dich?

Ich glaube, das sind alles freiberufliche Webdesigner, die sich bei mir ihre tägliche Portion Bürohorror abholen.

Ist das nicht ein ziemlicher Erfolgsdruck, wenn mehrere Tausend Menschen mehrfach täglich Pointennachschub verlangen?

Es gab tatsächlich schon Beschwerden, wenn ich im Urlaub war oder zu viel über Katzen geschrieben habe. Aber da müssen die durch.

Was dem Autor seine Auflage, ist dem Twitterer seine Gefolgschaft. Wie süchtig wird man nach Rückmeldungen und Reichweiten?

Die Zahl der Follower und Faves (Anm. „Lob-Sternchen“) ist für viele Twitterer sehr wichtig, obwohl im richtigen Leben selbst das Seepferdchenabzeichen mehr zählt.

Ist KatjaBerlin als Figur – mit all ihren running gags – erst nach und nach entstanden? Oder gab es von Anfang an einen Plan?

Wenn es in meinem Leben einen Plan gäbe, wäre der echt erbärmlich.

These: Anonyme Twitterer ziehen eine klare Grenze zwischen inszenierter Fabulierlust und privater Befindlichkeit. Stimmt’s?

Ja. Ich erfinde zwar nichts, lasse aber natürlich viel aus. Meine wirklich intimen Erlebnisse haben im Netz nichts zu suchen.

Hebst du deine Texte irgendwo auf?

Nein, die sind nur auf meiner Twitterseite. Wäre die mal weg, könnte ich nur auf die Vorratsdatenspeicherung des Innenministeriums hoffen.

Es gibt etliche unbekannte Twitterliteraten hast du ein paar Leseempfehlungen?

Natürlich. Tweets von AF_Blog, the_maki, litchi7, Gallenbitter, Steaklight, kater__moss und Vergraemer zu lesen ist besser als fernsehen.

Hast du noch nie das Bedürfnis verspürt, das 140 Zeichen Format zu sprengen? In Form längerer Texte?

Klar. Aber noch hat sich der Suhrkamp Verlag bei mir nicht gemeldet.

Abschließend was ist das Rezept für den perfekten Tweet?

0,3 l Weißburgunder + 4 cl Selbstmitleid + 3 cl Katzencontent, garniert mit FDP-Schelte und Anzüglichkeiten. Shaken, not stirred.

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