DIE BLOGGER UND DIE MÄDCHEN

Einflussreiche Blogs werden in Deutschland fast alle von Männern gemacht. Auf der re:publica 2010, die gerade in Berlin stattfand, haben die Bloggerinnen darüber nachgedacht, warum das so ist. ZITTY. 22. April 2010

Auf der großen Bühne des Friedrichstadtpalasts tänzelt ein amerikanischer Motivationstrainer. Jeff Jarvis heißt er, er ist Journalistik-Professor und, natürlich, ein berühmter Blogger. Er schwört die Anwesenden auf die neuen Zeiten ein: Los, versammeln, vernetzen, veröffentlichen! Das Internet ist eine „connecting machine“, ruft Jarvis, „our new public!“ Bald werden, so seine Botschaft, die Personalchefs nicht mehr nach Partyfotos fahnden, sondern den verdächtigen, der sich online gar nicht zeigt: „Why are you hiding?“ Warum versteckst du dich?

Verstecken tun sich die deutschen Blogger wahrlich nicht, die dreitägige re:publica, zu der in diesem Jahr rekordverdächtigte 2.500 Besucher angerückt waren, zeugt davon. Wie groß die Szene in Deutschland insgesamt ist, darüber gibt es keine verlässlichen Zahlen; Veranstalter Markus Beckedahl möchte nicht mal schätzen. „Zumal die Grenzen zu anderen Formen des Postings ja fließend sind.“ Gemeint ist: Reinschreiben kann mittlerweile jeder überall. Wer mag da noch mitzählen.

Was man dagegen an zwei Händen abzählen kann, sind die deutschen Blogger, die es in den letzten Jahren mit ihren netzpolitischen bzw. medienkritischen Blogs zu kleinem Ruhm gebracht haben. Beckedahl (netzpolitik.org) gehört dazu, Stefan Niggemeier (bildblog.de) natürlich, auch Johnny Häusler (spreeblick.de) und Sascha Lobo (saschalobo.com). Ein paar weitere Kollegen spielen in derselben Liga, „alles Männer“, bestätigt Beckedahl. Der Kreis der digitalen Alpha-Männchen ist überschaubar, man kennt sich, ist gut vernetzt.

Und auch wenn die Leserschaft – gemessen z.B. an amerikanischen Verhältnissen – immer noch klein ist, so ist sie doch relevant. Längst verfolgen Redakteure und Presseagenturen argusäugig die deutschen Top-Blogs; längst sitzen die Vorzeige-Blogger in Talkshows oder werden von Politikern zum persönlichen Gespräch gebeten. Es ist der Szene größter Stolz: Themen setzen, Debatten die gewünschte Richtung geben.

Nebenan, im großen Saal der Kalkscheune, ist man noch nicht ganz so weit. „Feministische Netzkultur 2.0“ ist das Thema der Podiumsdiskussion, die ein wenig schleppend in Gang kommt. Zwar wünschen sich auch die anwesenden Bloggerinnen „größere Sichtbarkeit“, mehr „Kampagnenfähigkeit“, mehr „Öffentlichkeitseffekte“. „Aber“, bemerkt Helga Christina Hansen von maedchenmannschaft.net, „soweit sind wir leider noch nicht“. Erst im letzten Jahr entstand überhaupt die Idee, offensiver zusammen zu arbeiten. Jetzt befindet man sich in der Beschnupperungsphase.

Dabei mangelt es nicht an Akteurinnen. Legionen bloggender Frauen gibt es in Deutschland, vermutlich sogar deutlich mehr als Männer. Eine starke politische Fraktion gibt es nicht. Boshaft könnte man sagen: weil die meisten Bloggerinnen mit Gedöns beschäftigt sind. Viele nutzen das Medium vor allem privat, als Tagebuch und zum Austausch im Freundeskreis. Andere betreiben erfolgreiche Strick- und Modeblogs oder berichten von Vereinbarkeit und Mutterschaft. „Als Journalistinnen verstehen sie sich gar nicht“, erklärt Kulturwissenschaftler Klaus Schönberger. Svenja Schröder (maedchenblog.blogsport.de) ergänzt: „Die meisten schreiben über das, was sie persönlich umtreibt“. Und das sei eben oft das Private. An die „harten Themen“ trauten sich viele nicht ran.

Das Phänomen ist so seltsam wie auffällig. Fast scheint es, als hätten die Geschlechterrollen im Netz drei Schritte rückwärts gemacht. Dabei hatten die Frauen in den 90er Jahren medial so deutlich aufgeholt, dass ein besorgter Frank Schirrmacher 2003 schon von einer „Männerdämmerung“ sprach, weil die „Produktionsmittel zur Massen- und Bewusstseinsbildung“ mittlerweile „in der Hand von Frauen“ lägen. Dass das Netz ihm zur Hilfe kommen würde, konnte er da noch nicht ahnen. Hier verhalten sich Frauen auf einmal wieder mehrheitlich ‚typisch‘ weiblich. Dazu gehört auch, dass sie sich in den Kampfarenen, zu denen die meisten Kommentarspalten geworden sind, vornehm zurückhalten.

Warum sie das tun, das wurde am folgenden Tag deutlich. „Sexismus im Internet“ stand auf dem Programm, der Saal war ziemlich voll. Und viel zu erzählen hatten nicht nur die Frauen auf dem Podium. Sexistische Beschimpfungen per Blog, Twitter oder Email sind das Tagesgeschäft, bei der Mädchenmannschaft gab es auch schon Morddrohungen. Die Gegenseite ist bestens organisiert, verabredet sich auf sogenannten Maskulisten-Foren zu gezielten Attacken. Und so hielt sich die Verwunderung der Anwesenden im Grenzen, dass es im Live-Chat zur Diskussion seitenweise Fäkal- und Analvokabular hagelte. Es herrscht eben Krieg da draußen.

Dabei waren die Hoffnungen der Cyberfeministinnen einst hochtrabend: Endlich ein anonymisierter Kommunikationsort, an dem soziale Identitäten wanken und Geschlechterzuschreibungen spielerisch hintertrieben werden können. Gekommen ist es genau anders herum. Mädchen zeigen sich optisch und verbal eher von der weichen Seite, zu provokanten Vorstößen fehlt manchmal auch einfach das dicke Fell. „Wenn man vorher schon weiß, wie massiv die Angriffe sein werden, überlegt man sich dreimal, was man wie kommentiert“, konstatiert Helga Hansen. Andererseits steckt hinter der ‚Netiquette‘ durchaus Absicht. Die schlechten Angewohnheiten der Gegenseite zu übernehmen, ist schon lange keine feministische Option mehr.

Und so dominieren in vielen Diskussionsforen weiter die Herren das Geschehen. „Männer geben eben gern zu allem ihren Senf dazu“, meint Beckedahl lakonisch, „auch wenn sie nichts zu sagen haben.“ Genau hier liegt, nicht nur bei der Piratenpartei, die neulich bis aufs Blut um eine weibliche Mailingliste gestritten hat, offenbar ein strukturelles Problem. Frauen kommunizieren in öffentlichen Räumen anders, vorsichtiger, konsensorientierter. In der linguistischen Gesprächsforschung kennt man dieses Genderphänomen seit über 20 Jahren, im Netz ist es bislang kaum wissenschaftlich untersucht.

Moderatorin Anne Roth schließt die Debatte in der Kalkscheune daher mit einer Frage: „Sollen wir uns mehr aufplustern?“ Bloggerin Anna Berg sieht keine andere Alternative: „Wir müssen darüber reden, es thematisieren und öffentlich machen.“ Es klingt trotzig – und kämpferisch.

Mittlerweile ist im Friedrichstadtpalast Jeff Jarvis fertig mit seiner Predigt; es darf gefragt werden. Mit dem Mikro in der Hand hüpft der agile Redner durch den Saal, von einer winkenden Hand zur nächsten. Nach einer Weile wundert er sich, „nur Männer?“ Erst da trauen sich auch zwei Frauen aus der Deckung und ergreifen das Wort.

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