KUNST ZWISCHEN KACHELN

Im Wedding steht ein leeres Stadtbad. Sein neuer Besitzer findet: Es sollte die Kunsthalle Berlin beherbergen. ZITTY. März 2010.

Arne Piepgras, 52, Jurist, hat eine Vision – und eine Mission: Er will die Kunsthalle in den Wedding zu holen. Konkret: in das stillgelegte Stadtbad in der Gerichtstraße 65. Hierhin, wo es 13,7 Prozent Arbeitslose und 50 Prozent Migranten gibt.

Die Idee wirkt nur noch halb so verrückt, wenn man die große, buntbeklebte Kiste das erste Mal sieht. Imposant und doch freundlich schmiegt sich das Schwimmbad ins Stadtbild, ein bisschen runtergekommen, aber doch anheimelnd. Am Eingang prangt ein dottergelbe „Bräunungscenter“-Schriftzug und auch drum herum zeigt sich der Problemkiez von seiner schönen Seite: Da fließt die Panke, dort im Grünstreifen picken die Vögel. Gleich um die Ecke sind die Ateliers der Gerichtshöfe, die Wiesenburg und die Uferhallen, ein bisschen weiter liegen das Künstlerhaus ExRotaPrint, die neu gegründeten Atelierhäuser Second-Home und die Künstlerkolonie in der Soldiner Straße.

Im Januar 2009 hat die Firma von Herr Piepgras, die Quantum GmbH, das stillgelegte Stadtbad Wedding vom Berliner Liegenschaftsfonds erworben. Normalerweise ist Quantum darauf spezialisiert, Grundstücke zu kaufen um die alte Bausubstanz abzureißen – und dann Supermärkte darauf zu bauen. Auch Firmensprecher Piepgras war jahrelang eher der Lidl- als der Kunsttyp. Jetzt kommt der Mann in Jeans und Holzfällerhemd kaum noch zum Luftholen, so sprudeln die kulturellen Visionen aus ihm heraus. Ursprünglich sah sein Plan so aus: Schwimmbad kaufen, renovieren, Kreativwirtschaft ansiedeln. Ateliers und Büros für Gründerfirmen wollte die Quantum GmbH einrichten, mit EU-Fördergeldern. Die großen Hallen des Bades sollten außerdem als „unverbrauchte Event-Location“ vermarktet und vermietet werden.

Das war letztes Jahr im Frühling. Aber je länger Herr Piepgras durch das gläserne Eingangsfoyer spazierte, die Freitreppen zu den zwei großen separaten Schwimmhallen hinauf stieg; je öfter er durch die langen Gänge der oberen Etagen lief, wo dutzende alte Badewannenkabinen angeordnet sind, desto mehr drängte sich eine andere Idee auf. „Sehr besondere, hochwertvolle Räumlichkeiten“ seien das ja, viel zu schade für die kurzfristige und kleinteilige Büronutzung. Wieso also nicht anders, größer denken – und der Kunsthalle Berlin ein Zuhause bieten? Kunsthalle statt Schwimmbad

Ausgerechnet die Kunsthalle. Dieses Zank-, dieses Streit-, dieses endlose Debattenprojekt. Klaus Wowereit wollte sie bekanntlich am liebsten für geschätzte 30 Millionen Euro neu an den Humboldthafen bauen lassen, gleich hinter den Hamburger Bahnhof. Die „Initiative Berliner Kunsthalle“ dagegen hat lange Zeit vehement den Blumengroßmarkt an der Friedrichstraße in der Nähe des Jüdischen Museums favorisiert. Auch über das Postfuhramt an der Oranienburgerstraße wurde nachgedacht – bis der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses im Herbst 2009 allen Plänen vorläufig die rote Karte zeigte. Die Kunsthallenentscheidung ist vertagt, auf 2012.

Bis dahin sind aber immerhin 600.000 Euro bewilligt, für eine zweijährige Mobile Kunsthalle. Von der allerdings ist bislang weder etwas zu sehen noch zu hören. Der Pressesprecher der Kulturverwaltung, Torsten Wöhlert, erklärt das damit, dass man zur Zeit mit dem Thema noch nicht an die Öffentlichkeit gehe, sondern erstmal intern „die Hausaufgaben“ mache. Programm, Standorte, Konzept? „Alles in Arbeit, aber noch nicht spruchreif.“ Sicher ist nur, dass die bewilligten Gelder bis Ende 2011 ausgegeben sein werden. Und sicher ist noch etwas: Wenn es jemals doch wieder um einen festen Standort gehen wird, dann wird der nicht im Wedding liegen. Herr Wöhlert möchte nicht falsch verstanden werden, „das ist nicht stadtteildiskriminierend gemeint“. Es sei nur so: „Zeitgenössische Kunst ist sperrig“, sie findet ihr Publikum nicht ohne weiteres. Daher brauche es einen sorgsam ausgewählten Standort, wie eben den hinter dem Hamburger Bahnhof oder den im Galerienviertel in der Auguststraße. „Nennen Sie das meinetwegen auch Mitnahmeeffekte“, summiert Wöhlert. Jedenfalls benötigt die Kunsthalle „das richtige Umfeld, um möglichst viele Zuschauer anzuziehen“.

Herr Piepgras kennt das Argument, der Staatsekretär für kulturelle Angelegenheiten, André Schmitz, hat es ihm im letzten Jahr auch schon schriftlich mitgeteilt: Zwar sei sein Stadtbad für „kulturwirtschaftliche und andere Zwecke durchaus geeignet“, für die Kunsthalle „kommt es sowohl wegen seiner Lage […] als auch angesichts der räumlichen Bedingungen nicht in Frage.“ Piepgras will die Vorbehalte trotzdem nicht gelten lassen. Außerdem, kontert er, „sehen manche Lagen auch besser aus als sie sind. Man denkt: Container auf den Schlossplatz, klasse, das läuft.“ Prominent platziert hatte man dort vor zwei Jahren die Temporäre Kunsthalle – mitten in die Stadt und mitten in die Touristenströme. Das Publikum kam trotzdem nicht.

Auch Torsten Wöhlert bestreitet nicht, dass die Temporäre Kunsthalle ein Besucherproblem hat, sieht darin aber eher eine Bestätigung seiner These: Das Umfeld sei „zwar touristisch, aber das allein reicht offensichtlich nicht“, man müsse eben noch mehr „in die Nähe des Segments“. Man kann die Sache auch anders sehen. Dass Kunst nichts in möglichst neutralen Riesenkisten zu suchen hat, die sich im Stadtbild dann auch noch möglichst eng aneinander drücken. Hauptsache, der einmal herbeigelockte Besucher schafft es von Eingang zu Eingang. Dass es auch umgekehrte Beispiele gibt, und zwar nicht nur das ehemalige Beerdigungsinstitut Le 104 im multikulturellen 19. Arrondissement von Paris, wo erst die Kunst kam und dann der Hype und die Horden.

Und so lässt das Debakel um die Temporäre Kunsthalle mittlerweile auch in Berlin erste Zweifler der white-cube- und Gleiches-zu-Gleichem-Strategie lauter werden. Bundestagsabgeordneter Wolfgang Wieland (Bündnis 90/ Die Grünen) gehört bereits zu den Unterstützern der Stadtbad-Idee. Und auch Bezirksstadtrat Ephraim Gothe plädiert für den „furiosen Impuls“, den „eine Kunsthalle der Gegenwartskunst im ehemaligen Stadtbad“ setzen könnte. Vor einigen Tagen hat Gothe in der Sache einen Brief an Wowereit geschrieben: „Gerade die Konfrontation der aktuellen Kunstszene mit der teilweise bitteren Realität eines alten Arbeiterquartiers ist nicht ohne Reiz.“

Susanne Pfeffer, Kuratorin der Kunst-Werke, hat im Februar in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift „Fort mit der weißen Zelle“ ähnlich argumentiert: „Für die zeitgenössische Kunst heute ist der schwierigste Raum der beste Raum. Kunst braucht eine Umgebung, an der sie sich bricht, mit der sie mitunter sogar kämpft.“ Hier im Wedding könnte es sich doch prächtig brechen, findet unterdessen Herr Piepgras. „Außerdem haben wir alles, was die sich wünschen“, ergänzt er, „große Hallen, Platz für Gastronomie, Außenterrassen, Räume für Sonderveranstaltungen, riesige Kellergewölbe zum Beispiel für Partys. “ Dem Senat ist das, so das zweite angedeutete Argument in Schmitz Brief, offenbar nicht groß genug. Auch Torsten Wöhlert verweist auf zitty-Nachfrage nochmal auf die Raumanforderungen, die letztes Jahr im hauseigenen „Konzept für den Betrieb einer Berliner Kunsthalle“ festgeschrieben wurden: 2.000 Quadratmeter, Deckenhöhe sieben Meter aufwärts, 4,1 Millionen Euro Zuschuss pro Jahr.

Natürlich ist das Stadtbad Wedding eine Nummer kleiner, natürlich ist die Immobilie nicht „perfekt ausgestattet“, sind die 70 Meter langen und 12 Meter breiten Ausstellungsräume in der ersten und zweiten Etage in ihrem jetzigen Zustand „nur“ vier Meter hoch. Aber dafür, so argumentiert Piepgras, ist der bauliche und finanzielle Aufwand der Renovierung überschaubar. Die Details zählt der Immobilienexperte dann kurz auf: „Fassade dämmen und neue Fenster, Klimatechnik, ein paar Wände raus, neuer Fußboden, sanitäre Anlagen, hier und da neu verputzen“. Ansonsten „ist ja alles da“ und „die Schwimmhallen bleiben ja Schwimmhallen.“ Die Umbaukosten werden, schätzt Piepgras, höchstens bei drei bis fünf Millionen Euro liegen. Als Ausstellungsräume für die Kunsthalle hat Piepgras deshalb bisher lediglich den vorderen Teil des Gebäudes vorgesehen – und natürlich eine Mitnutzung der großen Schwimmhalle. Für die restlichen Bereiche stellt er sich eine Mischung unterschiedlichster Mieter vor.

Allerdings, beeilt er sich zu betonen, „soll das hier kein zweites Tacheles werden“, keine No- bis Low-Budget-Subkulturstätte. Aber eben auch kein reiner Galerienstandort. „Es soll schon ein bisschen lebendiger sein.“ In seinem Konzept steht ein Streetart-Museum, ein Kunstlabor, Wohnungen für artists in residence, Gastronomie, Veranstaltungen, Partys. Und das alles Wand an Wand – beziehungsweise neben, unter, hinter und über den Räumen der Kunsthalle. Und wenn das dann alles läuft, dann könne man ja immer noch ans Expandieren denken. Ein paar Meter weiter, die Gerichtstraße runter, soll demnächst das städtische Krematorium verkauft werden – die Quantum GmbH liebäugelt auch damit. „Traumhaft schön, wie das Taj Mahal“, schwärmt Herr Piepgras, „fast klosterartig“. Vor seinem inneren Auge sieht er es schon als Gästehaus für die Kunsthalle.

Aber dann wird der Mann doch nochmal realistisch. „Vielleich sollte man nicht mehr darauf bestehen, die Kunsthalle Berlin zu sein. Sagen wir doch einfach: Wir wollen eine Kunsthalle sein.“ Jetzt fehlt nur noch jemand, der die Sache ähnlich pragmatisch sieht. Vielleicht ein Stifter, vielleicht ein Unternehmen. Hauptsache, er hat keine Angst vor dem Wedding. Und vor gekachelten Leuchttürmen.

Comments are closed.